Anzeigen der Woche, Teil 2: Mit Marktsegmentierung zur Nummer 1

Erfahrene Marketing-Profis kennen den Kniff, um in Wettbewerbsvergleichen besser abzuschneiden: „Definiere Dein Segment und die Chancen steigen rapide, die Nummer 1 zu werden!“. Kennen wir aus fast allen Warengruppen, Unter- und Unter-Unter-Warengruppen: Die Nummer eins in der Kategorie der quadratischen 100-Gramm Tafelschokolade, der Primus im Segment der Allgäuer Heumilch oder das Marktführerprodukt in der Kategorie gestapelter salziger Snacks der 200-Gramm-Klasse. Diese leicht überzeichneten Beispiele haben eines gemeinsam: die Shopper-Seite wird (bewusst) ausgeblendet, denn die Kunden am Regal entscheiden nicht zwischen Angeboten innerhalb der von Marketingstrategen definierten Teilsegmente. Die Wahl fällt – wie wir aus Shopper-Studien wissen – bestenfalls in der Kategorie selbst, meist jedoch nach spezifischem Bedarf analog der Einkaufs-Mission. Beispiel: die Tafelschokolade kann u. a. gekauft werden …

… spontan, zum Zweck des Eigenverbrauchs – Mission: Impulskauf, Motivator: Lust auf Süßes

… geplant, als Mitbringsel für Kinder – Mission: Plankauf, Motivator: Aufmerksamkeit, Dankeschön usw.

… aus Routine, als Reserve für Anlässe zuhause – Mission: Vorratskauf, Motivator: Sicherheit

Wir erkennen, je nach Shopping-Mission steht die Tafelschokolade mit unterschiedlichen Alternativ-Kategorien im Wettbewerb. Das spontane Verlangen nach Süßem könnte z. B. ein schokoladenhaltiger Müsliriegel, Schoko-Pralinés oder ein Speiseeis ebenso befriedigen wie die Schokolade in Tafelform. Als Mitbringsel für die Kinder eigneten sich ebenso beispielsweise Schoko-Linsen, das Ü-Ei oder gar Fruchtgummi. Und für Eventualitäten zuhause wäre man mit Schoko-Keksen sicher ähnlich gut gerüstet.

Vor diesem Hintergrund werfen wir also einen nicht ganz unvoreingenommenen Blick auf die Anzeigen der Woche, in denen Produkte als „Nummer 1“ positioniert und beworben werden.

Zugegeben, das traditionelle isländische Milchprodukt Skyr (Aussprache [ˈscɪːr̥]) gehörte bisher nicht zu den relevanten Lebensmitteln in meinem Warenkorb. Von Arla lerne ich also nun diese Mopro-Tradition aus dem sagenumwobenen Eiland im Norden Europas kennen. Lerne auch, dass es in den LEH-Regalen sogar eine ganze Kategorie dazu gibt. Das Inserat für Arla Skyr übertitelt der Werbedichter plakativ mit „Die Nr. 1 im Skyr-Regal“. Darunter eine Abbildung des Produkts, die ca. 50% der Anzeigenfläche einnimmt und abschließend die Aufforderung nebst zusätzlicher Argumente für die Händler, die Marke prominent zu platzieren.

Die klare Nummer 1 bei SKYR:
Isländische Tradition von Arla.
Quelle: Fachpresse (LZ)

Das Motiv ist analog der Kommunikations-Hierarchie gut strukturiert, Absender und Marke sind sofort erkennbar. Die Anzeige hat eine klare Aussage, die durch Bild und Text schnell transportiert wird, auch eilige Leser erkennen unmittelbar, worum es geht. Nach den Grundsätzen für professionelle Handelskommunikation beurteilt: so sollte eine B2B-Anzeige sein! 

Poseidon, griechischer Gott des Meeres und Bruder des Zeus, hat sich nach Bayern verirrt. Dort sitzt er am Ufer eines malerischen Bergsees und blickt gen Himmel, genauer: auf einen Stern. Dieser befindet sich am Ende der Überschrift „NEUES von der Nr. 1 in Bayern*“, wie der Anzeigenpoet der bajuwarischen Bergbauern das halbseitige Motiv für den Joghurt Griechischer Art betitelt hat. Im entsprechend Kleingedruckten ganz unten im Inserat erfahren Leser mit ausreichend Sehvermögen, dass es sich bei der Absendermarke um die „Nr. 1 bei den Markenartiklern in der Unterwarengruppe Naturjoghurt in Bayern auf Absatzbasis“ handelt – die eigene Kategorie ist also sauber definiert.

Ab Oktober wird es griechisch in Bayern:
Naturjoghurt mit südlichem Flair.
Quelle: Fachpresse (LZ)

Die Anzeige ist hinsichtlich Awareness, Klarheit, Schnelligkeit und relevanter Informationen für die Zielgruppe positiv zu bewerten. Das prägnante Bild des griechischen Gottes funktioniert in Verbindung mit der Überschrift unmittelbar und die prominent im Zentrum eingebaute Packung sorgt für eine gute Erkennbarkeit der Marke. Dass es sich um eine Neuheit handelt, erklärt bereits die Überschrift; der signalstarke Störer links oben kommuniziert den Launch-Zeitraum unterstützend. Zusätzliche Gründe im knappen Bullet-Point-Stil liefern interessierten Lesern zusätzliche Informationen. Brauchbar sind sie allerdings in der Tat nur für Mopro-Kenner unter den Händlern; ähnlich wie bei „Skyr“ oute ich mich auch hier als Banause auf ganzer weißer Linie. Was es genau mit der „Griechischen Art“ des Naturjoghurts auf sich hat, muss ich nachschauen, der letzte Urlaub bei den Hellenen ist schon über 10 Jahre her …

Die Riegelmarke Nr. 1 – da denken wir zuerst an … Knoppers; richtig! Oder kam Ihnen tatsächlich eine andere Brand in den Sinn? Ein Produkt aus dem Mars-Konzern oder von Ferrero etwa? Falls ja, ging es Ihnen wie mir, spontan hätte ich mich tatsächlich eher auf Mars, Snickers, Bounty oder Duplo festgelegt. Im ganzseitigen Inserat für die Storck-Marke lernen wir nun, dass Händler mit den süßen Naschereien der Berliner „Erfolg zu jeder Jahreszeit!“ haben können. Deshalb – so die Aufforderung – sollen sie bitte nun fürs Weihnachtsgeschäft ordern und „richtig Umsatz-Plus machen!“. In der Erklärung des Nr.1-Sternchens ist zu lesen, dass die „Knoppers-Markenfamilie“ laut GfK nach Umsatz und Absatz Marktführer ist, allerdings exklusive Kühlriegel.

Setzt dem Erfolg die Mütze auf:
Die Nummer 1 Riegelmarke Knoppers.
Quelle: Fachpresse (LZ)

Wie üblich bei Storck ist die Anzeige vorbildlich konzipiert: Wenig Text, die Botschaft bereits in der Headline unmissverständlich formuliert, ein (1!!!) Bildmotiv (und eben nicht 3, 4 oder noch mehr) mit ca. 50% Raumanteil, große, gut erkennbaren Packungen und ein hervorgehobener Aktivierungs-Text, abgerundet durch den Absender Storck nebst Logos weiterer Brands. Damit „sitzt“ die Botschaft; viel besser kann man Fachanzeigen nicht gestalten. Dass dieses Inserat nicht für Kreativ-Awards nominiert wird, nimmt der Absender (wie auch bei anderen Motiven) zugunsten einer effektiven Kommunikation gern in Kauf.

Abschließend sehen wir noch mehr Sterne. Nein, nicht als Auszeichnung gehobener Speisen-Qualität, sondern als Hinweis auf eine Marktsegmentierung auch hier. Der Feinkostanbieter Homann ‚gönntsich‘ eine Marktführerschaft in der Kategorie „Fast-Food-Saucen“. Interessant, hatte der unbedarfte Marktbeobachter doch bisher allen Würzsoßen von Ketchup bis Hot Chili unterstellt, den Job eines Verfeinerers von Gerichten aus der schnellen Küche zuverlässig zu erledigen. Weit gefehlt, das Unter-Segment der Fast-Food-Saucen existiert, nach IRI-Zahlen 2019 dürfen sich die Dissener darin folgerichtig als Nummer 1 bezeichnen.

Du Händler, gönn Dir mal was …
… den Marktführer bei Fast-Food-Saucen!
Quelle: Fachpresse (LZ direkt)

Die 1/1-Anzeige ist grundsätzlich gut strukturiert, wiederkehrende Elemente der beworbenen Publikums-Kampagne wurden vom Gestalter auch für diese B2B-Annonce genutzt. Besonders auffällig: die Hashtag-Headline im trendigen Display-Font und das Foto des herzhaft in einen Burger beißenden Mannes. Das sorgt für Aufmerksamkeit, die neuen Homann-Saucen gehen als kleinere Packshots im unteren Bilddrittel visuell fast etwas unter. Dennoch, durch den verstärkenden Effekt der Motiv-Wiederholung dürfte die Kampagne im Kopf der avisierten Gruppe der Handelsentscheider präsent bleiben.