Markenbildung funktioniert über klare Positionierung. Doch wann kippt eine Strategie ins Unzeitgemäße? Vor einigen Tagen entdeckte ich in der Fachpresse die kaum zu überblätternde Anzeige der In-Spirits GmbH für deren Blaubeer-Likör mit dem eingängigen Markennamen „SAUFEN“. Das knallt und differenziert sich stark vom sonstigen Anzeigenreigen. Vorab: Unter Gestaltungsaspekten haben die Hövelhofer einen prima Job gemacht — Signalfarben, prägnante Headline und erfreulich wenig und gut lesbaren Text:

Prost!
Retro-Marketing aus der Stammtischhölle oder cleverer Positionierungs-Ansatz?
Manche Werbemotive überraschen, andere irritieren. Und dann gibt es Kampagnen, bei denen man nicht sicher ist, ob sie genau das beabsichtigen. Hier fragt sich der geneigte Betrachter: Ist dieses Inserat mutig, ist es clever, voll auf die Zielgruppen-Zwölf oder einfach nur komplett daneben? Apropos daneben. Direkt vis-à-vis vom derb daherkommenden Sprit-Motiv findet sich im Fachblatt ein bemerkenswertes Interview mit dem renommierten Trendforscher David Bosshart. Befragt zur künftigen Entwicklung von Ernährungsstilen offenbart der Schweizer Handelsexperte folgende Kleinode der Markterkenntnis (Zitat): „Dabei ist der Trend bei Alkohol längst in fast allen entwickelten Ländern seit etwa der Nullerjahre rückläufig“. Und weiter: „Praktisch alle westlichen öffentlichen Institutionen dämonisieren jeglichen Alkoholkonsum als per se toxisch.“. Da fragen wir uns als Marketing-Profis doch sofort, ob der helmbewehrte Wickinger auf der SAUFEN-Flasche ein wackeres Symbol des Widerstands gegen institutionsgetriebene gesundheitsideologische Narrative darstellt? Ist der Trend zum bewussten Genuss an den Werbern von In-Spirit vorbeigegangen oder sind ihre Produkte mit solch illustren Namen wie „Quicky“, „Bumsbar“, „Dildo Shot“ oder eben „SAUFEN“ ein provokativer Gegenentwurf zu aktuellen Regulierungs- und Gesundheitstendenzen? Können sich andere Marken, die um Haltung und Relevanz in einer Welt des bewussten Genusses ringen, hier eine Scheibe Kompromisslosigkeit in Sachen Positioning abschneiden? Oder öffnet sich hier die Kluft zwischen lautem Krawall-Marketing und einem zunehmend reflektierten Konsumverhalten? Während sich viele Marken um Authentizität, Genusskultur und nachhaltige Relevanz bemühen, setzt In-Spirit mit seinen Produktnamen und beim Merchandising auf „lustige“ Wortspiele und kalkulierten Tabubruch – ob aus Bauchgefühl, mit strategischer Absicht oder aus der Zeit gefallen, bleibt offen. Entscheidend ist, wie der Handel darauf reagiert und ob die Zielgruppe der hedonistisch-spaßgetriebenen Shopper groß genug ist bzw. bleibt.
Jenseits aller Diskussionen zur Markenpositionierung und Werbewirkung müssen sich die In-Spirit-Geschäftspartner auf Handelsseite allerdings fragen: Wollen sie mit niederschwelligen Einstiegs-Alkoholika und ‚hemmungslosem Verkauf‘ (Anzeigenzitat) aktiv die Trinkkultur des Saufens fördern – gerade bei jüngeren Zielgruppen? Oder setzen sie auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol und bevorzugen für die POS-Inszenierung ihrer Verkaufsflächen Marken und Sortimente, die eine reflektierte Genusskultur unterstützen?