Kennen Sie Martin Handfort? Falls es nicht sofort klingelt, ein Tipp: der mittlerweile 64-Jährige hat in mehr als 30 Ländern insgesamt 43 Millionen Bücher verkauft. Nein, nicht als Romancier oder Sachbuchautor, der Brite ist Erfinder der „Walter“ (Waldo)-Wimmelbilderbücher. Mit der Frage „Where‘s Wally?“ hat er Heerscharen von jugendlichen und erwachsenen Spürnasen auf die Suche nach seinem Protagonisten in bunten Menschenmassen an den Strand, in die Stadt und an viele weitere Orte weltweit geschickt. Trotz seiner auffälligen Optik mit Pullover und Pudelmütze in rot-weiß sowie blauer Hose ist es nicht einfach, Walter in den großformatigen Motiven zu entdecken.
Genau das Gegenteil von Herrn Handfort hatten die Marketing- und Media-Manager der Privatkäserei Bergader im Sinn, als sie diese Anzeige – gefunden in der Wochenendausgabe einer Tageszeitung – schalteten.
Ein Walter-Wimmelbild also ohne Menschenmasse drum herum. Der Bergbauer in der Textwüste mit maximaler Awareness. Dachte ich mir, warum sehen wir solche Inserate in der (regionalen) Tagespresse nicht öfter? Das Motiv selbst ist sicher kein Kandidat für die Shortlist bei den Cannes Lions oder dem ADC Award; es beinhaltet kaum mehr als die Produktabbildung mit wenigen sachlich-informativen Lines und einem roten Störerfeld. Zielrichtung: Verfestigung des Markenimages und Schaffung hoher Erinnerungswerte. Perfekt getimed am Samstagmorgen vor dem Start in die Wochenendeinkäufe. Und ich lege mich mal fest: ganz bewusst ohne Rabatt-Coupon. Ein gelungenes Beispiel also für den effizienten Einsatz des Mediabudgets in Sachen Brand Building. Hat das Zeug dazu, stärker zu wirken als eine ganzseitige Anzeige im Food-Hochglanzmagazin mitten im Umfeld zahlreicher Wettbewerber-Motive. Freilich in Ergänzung zum TV-Spot, der in Wellen immer mal wieder ausgestrahlt wird.
Da fragen wir uns, woran könnte es liegen, dass Tageszeitungen von Werbungschaffenden und Mediaprofis bei der Konfiguration ihrer Schaltpläne so wenig beachtet werden? Warum sie nicht zumindest budgetschonende Formate berücksichtigen – siehe Bergader-Anzeige – die den Mediaplan abrunden könnten? Die Vermutung liegt nahe, dass es ein Mix ist aus:
- Bedenken gegenüber potenziellen Streuverlusten – die Leserschaft stellt einen (älteren) Querschnitt der Gesellschaft dar
- Kurzer Präsenzzeit der Anzeige – nach einem Tag ist die Zeitung nicht mehr aktuell
- Kostenblock bei nationaler Abdeckung – ein farbiges Motiv im Format von 100 mm auf 2 Spalten im Textteil liegt im 4-stelligen Bereich pro Regionalausgabe
- Werbeerfolgskontrolle – eine digitale Anzeige (z. B. Banner) lässt sich per Click- oder Action-Volumen gut tracken
- Umfeld-Attraktivität – die redaktionelle Umgebung der Anzeige ist nicht zwingend „sexy“
Demgegenüber stehen die Vorteile einer Textteilanzeige im redaktionellen Umfeld der Tagespresse:
- Starke Aufmerksamkeit – das Motiv steht singulär im umgebenden Text
- Schneller Reichweitenaufbau – allein über die gedruckte Ausgabe erreichen die Zeitungen knapp 40 Millionen Menschen (ca. 30 Mio. bei regionalen Abo- Zeitungen pro Ausgabe)
- Hohe Glaubwürdigkeit – die Leser vertrauen „ihrer Zeitung“ oft seit vielen Jahren
- Geografische Aussteuerung – regionale bzw. lokale Belegungen sind möglich
Freilich, die Print-Auflagen der Tageszeitungen sinken, während die digitalen Nachrichtenkanäle stetig an Lesern hinzugewinnen. Dennoch liegen die Bruttowerbeumsätze von Zeitungen mit gut 13 Prozent insgesamt hinter den TV-Spendings auf dem zweiten Platz.
Lassen Sie uns heute die Annonce vom bayrischen Bergbauernkäse doch einfach mal als willkommenen Anstoß nehmen, eingefahrene Vorgehensweisen zu hinterfragen, scheinbar in Stein gemeißelte Erkenntnisse neu zu bewerten und etablierte Erfolgsformeln kontinuierlich zu prüfen. Hilft dabei, nicht in allzu ausgetretenen Pfaden unterwegs zu sein, auch am POS! Vergessen wir nicht, dass Händler am häufigsten die mangelnde Kreativität im Rahmen von Promotions der Industrie bemängeln. Ein Hinweis, der uns Werbeschaffende einerseits demütig machen, aber auch motivieren sollte, unseren Output stetig zu verbessern und immer wieder neu zu denken.
Und für alle, die eine schöpferische Pause brauchen und feststellen wollen, ob sie Walter ähnlich schnell finden wie eine KI, hier ein kleines Suchbild (bitte aufs Bild clicken):
Quellen:
https://www.die-zeitungen.de/argumente/reichweiten.html
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/419146/umfrage/bruttoumsaetze-mit-zeitungswerbung-monatszahlen