Liebe Leser*innen dieses Blogs,
aus aktuellem Anlass heute ausnahmsweise einmal kein Beitrag zum POS-Marketing. Keine Zeile zu neuen Studien, innovativen Instore-Technologien, ausgeklügelten Vermarktungsmechaniken oder disruptiven Kreativkonzepten.
Denn: Es geht heute um das großgeschriebene „I“ im Wort, den Unter- oder Schrägstrich bzw. das Binnen-Sternchen, die gendergerechte Schreibweise also von KundInnen, Händler/innen, Vermarkter_innen oder Fachmann*innen.
Sie erkennen bereits in diesem reichlich misslungenen Einleitungssatz, dass es hier Schwierigkeiten gibt. Und mit den oben genannten Begrifflichkeiten befinden wir uns noch im seichten Gewässer des mit Untiefen durchzogenen Ozeans der genderneutralen bzw. geschlechterallumfassenden Sprachakkuratesse. Denn neben den Binnen-Verbindungen gibt es noch die neutrale Variante (z. B. „Studierende“) sowie die aufzählende Paarform, die alle „Diversen“ jedoch nicht berücksichtigt („Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Betriebsratsmitarbeiter und Betriebsratsmitarbeiterinnen freuen sich auf einen regen Meinungsaustausch mit unseren Geschäftsführern und Geschäftsführerinnen“). Wir spüren, schon ein kurzer Begrüßungssatz kann bei dieser Form fast einschläfernd wirken.
Aber der Reihe nach. Fangen wir mal einfach an und bleiben in unserem Metier. Verweilen wir beim Vermarkten, widmen wir uns dem Handel und der FMCG-Industrie. Beginnen also mit dem Auszubildenden (für sich schon ein beachtliches Wortungetüm). Der (männliche) Auszubildende und die (weibliche) Auszubildende finden sich hier in schöner Eintracht der geschlechterneutralen Schreibweise. Der Azubi also und die Azubi gleichermaßen. Arbeiten wir uns weiter zur Regalkraft. Wir finden sie als unentbehrliches Rückgrat eines funktionierenden Outlets zwischen Lager und Platzierung. Sie stellt uns aber vor ein Problem, ist sie doch rein weiblich. Müssen uns für die männlichen Kollegen also behelfen mit einem Regalarbeiter oder Regalpfleger, was uns beides als Praktiker*in nicht so recht überzeugen will. Auch die geschlechterneutrale Variante funktioniert bei diesem Job nicht, Regalarbeitende klingt seltsam. Klappt übrigens auch bei vielen anderen Berufsbildern kaum, erwähnt seien Ärzte, Polizisten oder Chemiker (Ärztende, Polizistende und Chemikendere?).
Aber weiter, denken wir an den Wettbewerb im Markt, an Start-ups und werden spitzfindig. Schauen uns in diesem Zusammenhang z. B. das Wort Herausforderer an. Wo ist das Problem, fragen Sie, der Herausforderer und die Herausforderin. So kennen wir es, ist aber eigentlich nicht korrekt, es müsste ja nach absolut gendergerechter Sprache dann „HerausfordererIn“ heißen bzw. „Herausforderer*in“. Bei den o. g. Ärzt*innen finden wir ähnliche Widrigkeiten, denn einen Ärzt gibt es nicht. Und Kletterer und Wanderer bescheren uns das gleiche Dilemma.
Die Beispiele zeigen es, eine zu 100 Prozent genderneutrale Sprache wirft viele Fragen auf. Sie wirkt oft bemüht, sperrig und konstruiert. Vor allem ist sie nicht dort entstanden, wo Sprache entsteht – im täglichen Miteinander zuhause, beim Arbeiten, in der Freizeit oder beim Plausch mit den Nachbarn. Ausdrucksweisen und Grammatik entstehen nicht am „grünen Tisch“ unter Beachtung politisch korrekter Formulierungen. Das derzeit kritisierte generische Maskulinum hat sich u. a. für Berufsbilder über eine sehr lange Zeit herausgebildet (der Werber, der Händler, der Lehrer), das generische Femininum übrigens auch (die Hebamme) und das wird sich durch eine verordnete Sprachneutralität nicht von heute auf morgen ändern. In Ländern, in denen die Sprache ohne geschlechterspezifisches Substantiv auskommt – wie z. B. im Englischen – ist die Gesellschaft deshalb nicht automatisch „gerechter“ in Bezug auf die Geschlechterrollen.
Deshalb wird sich dieser Blog bis auf weiteres darauf konzentrieren, aktuelle News, interessante Beobachtungen und neue Erkenntnisse rund ums Vermarkten in einer flüssigen, leicht lesbaren sprachlichen Form zu vermitteln. Ein Händler bleibt also ein Händler, eine Regal- oder Führungskraft wird ebenso wenig gendergerecht vermännlicht wie die Vertriebs-Koryphäe. Der Vermarktungs-Experte verweilt im Maskulinum und das Marketing-Genie ist erfolgreich und zwar neutral.
Sollte sich die aktuelle elitäre Zeitgeistdebatte um genderkorrekte Sprache in Richtung Gesellschaftsmitte verschieben und sich dort eine mehrheitlich verwendete Form etablieren, wird die Situation neu bewertet. Sobald es eine allgemein akzeptierte Variante genderneutraler Formulierungen gibt, spricht nichts dagegen, sie zu adaptieren.