Kein Scherz: Zerstören Rapper den LEH?

Kennen Sie das: Beim Durchblättern oder -scrollen der Fach- und Tagespresse bleiben Sie an einem Satz, einer Überschrift, einer Aussage hängen. Denken darüber nach, wägen ab und bemerken, es lässt Sie nicht los? So erging es mir nach der Lektüre der Lebensmittel Zeitung vor gut zwei Wochen. Im Kontext der Berichterstattung über den herausragenden Erfolg von Food-Produkten aus der Hiphop- und Rap-Szene im LEH fiel der Satz:

„Die Disruption des LEH durch Produkte aus der Hip-Hop-Kultur wird definitiv stattfinden.“

Mit Eistee-Mix den Markt aufmischen?
Beitrag in der LZ vom 12.03.2021

Das Zitat stammt von Phillip Böndel, Geschäftsführer Digital bei der altehrwürdigen Agentur Butter in Düsseldorf und Gründer der Vermittlungsfirma „The Ambition“, die Unternehmen in Sachen Hiphop-Kultur berät. Aha, denke ich, hat der Kollege sich eventuell mit einem Fünkchen Eigeninteresse zum Thema geäußert. Nun, das ist nicht ehrenrührig und zudem verständlich, ist doch dem, der den Hammer führt, jedes Problem der sprichwörtliche Nagel. Davon abgesehen finden wir seit einigen Jahren tatsächlich zahlreiche Produkte aus dem Umfeld der Rapper- und Hiphop-Szene in Regalen und auf Zweitplatzierungen des Handels, auch dieser Blog hat darüber schon berichtet.

Aber Disruption des LEH, ist das selbst im üppig gefüllten Regal mit neuen Produktideen aus der Sprechgesang-Ecke nicht reichlich hoch gegriffen?

Was verstehen wir gemeinhin unter Disruption? Der eingedeutschte Begriff stammt vom englischen „disruption“ (Bruch, Riss, Zerstörung) und beschreibt im übertragenen Sinne, dass etwas grundlegend verändert, umgekrempelt, neu gestaltet wird. Sei es eine Technologie, ein Markt oder ein Geschäftsmodell. Fragen wir uns vor diesem Hintergrund also, werden Produkte aus der Hiphop-Szene die etablierten Marken verdrängen? Haben sie das Zeug dazu, das Geschäftsmodell des LEH, wie Herr Böndel meint, komplett auf den Kopf stellen? Ganz konkret: Kann z. B. der zurzeit gehypte „Bratee“ vom Deutschrapper Capital Bra auf Dauer die Mitbewerber Lipton, Pfanner, Fuze (Coca-Cola) und die Private Labels vergessen machen? Leichte Zweifel scheinen angebracht.

Dennoch, den Trend, eine der derzeit populärsten Musikströmungen und ihr kulturelles Umfeld als Inspiration für die Vermarktung von Lifestyle- und Food-Produkten zu nutzen, sollte auch die etablierte Markenartikelindustrie beschäftigen. Gerade im FMCG-Bereich gibt es viel Potenzial, um die Millionen zählende Zielgruppe der Freunde beatgetriebener Macho-Mucke zu begeistern.

Fast acht Millionen Deutsche hören
Hiphop und Rap „sehr gern“.
Quelle Statista

Tendenziell eignen sich dafür Marken, die vorwiegend für jüngere Altersgruppen positioniert sind (oder solche, denen eine Verjüngungskur helfen würde). Das Spektrum der Kooperationsmöglichkeiten reicht dabei von einer temporären Promotion-Partnerschaft bis zur Entwicklung von exklusiven Artikeln, Sondereditionen, Marken oder Submarken.

Beim Betrachten der Statistik der beliebtesten Musikrichtungen fällt uns allerdings auf, dass es jenseits der gehypten Hiphop- und Rap-Szene Stilsegmente mit noch deutlich größerem Fanpotenzial gibt:

Der rabiate Sound liegt nur auf Platz 6
der populärsten Musik-Genres
Quelle: Statista

Hinter dem Tabellenführer Rock- und Popmusik finden wir ganz weit vorne Oldies und Deutsche Schlager. Das vermeintlich seichte Unterhaltungsgedudel hat also fast doppelt so viele Anhänger wie die bassgetriebene Ton- und Textkunst. Interessant: Beide verbindet die vorwiegend deutsche Sprache der Lyrics.

Also, liebe Markenartikler, hier tut sich eine Möglichkeit auf, einen Gegentrend zu setzen. Statt „Bratee“ also „Helenes Heiße Tasse“ und statt „Gangsterella“ Pizza in der TK-Truhe „Rolands Kaiserschmarrn“ für die Pfanne. Denken Sie mal darüber nach!