Leere Innenstädte durch die „unsichtbare Hand“?

Kennen Sie die „unsichtbare Hand“? Nein, das soll keine Referenz an Detektivgeschichten wie „Die drei ???“ sein, es geht um Ökonomie. Um nationalen Wohlstand, um ein Wirtschaftssystem, das sich durch den freien Austausch von Gütern und Dienstleistungen gegen marktgerechte Preise praktisch selbst reguliert. Das heißt, die Gesellschaft profitiert davon, dass jeder Konsument zunächst seinen Vorteil, jeder Kaufmann seinen Ertrag im Blick hat, wenn es ums Wirtschaften geht. Die eben nicht primär daran interessiert sind, die heimische Wirtschaft oder bestimmte Geschäftspartner aus altruistischen oder protektionistischen Motiven heraus zu unterstützen. Nennen wir auch Kapitalismus, nennen wir freie Marktwirtschaft. Die Metapher der unsichtbaren Hand wird dem Ökonomen Adam Smith zugeschrieben, der zwar seit über 200 Jahren tot ist, dessen Werk jedoch auch heute noch Studierende der Volkswirtschaftslehre lebhaft beschäftigt.

Nun, heute wissen wir, ganz so leicht funktioniert das mit der puren Selbstregulierung nicht. Zu groß die Risiken, dass wesentliche Bereiche des ökonomischen Systems vernachlässigt werden und dadurch systemrelevante Versorgungszweige leiden. Beispiele: Gesundheits- und Bildungssystem. Gerade in Corona-Zeiten haben wir verstanden, dass die komplette Privatisierung von Krankenhäusern, Schulen und Kitas nicht nur Vorteile bietet. Dass die auf ökonomische Effizienz getrimmte Führung von sozialen Einrichtungen das Risiko birgt, Mitbürger aus wirtschaftlich schwachen Milieus zu vernachlässigen, während die Wohlhabenden präferiert bedient werden. Oder, um die in den Medien populäre Metapher zu bemühen: die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander. Kann für soziale Spannungen sorgen, sollte also vermieden werden. Tatsächlich hat die Corona-Zeit klar und wie unter einem Vergrößerungsglas gezeigt, dass der Staat als Regulativ erforderlich ist, um Prioritäten zu setzen, um das soziale (Über-)Leben zu sichern und – nicht zuletzt – um dort mit finanziellen Mitteln zu helfen, wo Unternehmen und Unternehmer durch die Pandemie und den folgenden Lockdown in eine wirtschaftliche Notlage geraten sind.

An diese Zusammenhänge denke ich, während ich der Fachpresse entnehme, dass unser Wirtschaftsminister „den Handel digitalisieren will“ und „aus Fördertöpfen neues Geld fließt“. Der Handelsverband (HDE) fordert einen Innenstadtfonds mit – zunächst – 500 Millionen Euro um der Verödung der Innenstädte entgegen zu wirken. Mit diesen finanziellen Mitteln sollen, so der HDE,  die Beteiligten „die Situation analysieren“ und „geeignete Maßnahmen, wie u. a. moderne Einzelhandelskonzepte entwickeln.“


Da bleibe ich hängen. Das finde ich höchst erstaunlich. Nicht die Tatsache, dass es Initiativen gibt, um die Innenstädte vor der Verödung zu schützen. Nein, das ist löblich und jede Idee dafür sollte willkommen sein. Auch habe ich als Marketingdienstleister eine grundsätzlich sehr große Sympathie für den stationären Einzelhandel. Verblüffend finde ich allerdings die Haltung des Handelsverbands, der nun nach Staatshilfen ruft, weil die Einzelhändler den Digitalisierungstrend verschlafen und ihre Vermarktungs- und Shop-Konzepte nicht auf den Kunden 2020 ausgerichtet haben. Achtung, hier geht es nicht um Fördergelder für kleine Handelsunternehmen, die durch den Lockdown Verdienstausfälle hatten. Es geht um „Händler im Dornröschenschlaf“, wie es Marcus Diekmann von der Initiative „Händler helfen Händlern“ beschreibt. Die ihre inhabergeführten Läden betreiben, wie sie es seit Jahrzehnten kennen. Von denen 40 Prozent kein Warenwirtschaftssystem und 24 Prozent keine eigene Website haben. Das hieße doch, die Schlafmützigkeit und Trägheit vieler Einzelhändler noch mit einer Finanzspritze zu belohnen.

Genau hier zeigt sich der Mechanismus der „unsichtbaren Hand“. Die Kunden ordern online. Sie bestellen dort, wo sie rasch und zuverlässig beliefert werden und eine hohe Preistransparenz vorfinden. Nein, nicht auf den immer zahlreicher im Netz präsenten kommunalen Gewerbeplattformen. Sie nutzen Amazon, Zalando & Co. Schnell, günstig und gut, das „magische Dreieck“ der Dienstleistung finden sie dort vor. Den kleinen stationären Händler finden sie nicht. Oder sie finden ihn und erleben dann oft das Gegenteil der genannten Service-Kriterien. Wenden sich also den nationalen oder internationalen Lieferanten zu und kaufen eben nicht aus lokalpatriotischen Gründen beim Händler aus der Innenstadt.

Eine Herausforderung also für Städte und Händler gemeinsam, aber bitte ohne staatliche Fördergelder. Natürlich sollen die Kommunen ihre Händler mit Rat, Tat und auch mit Investitionskrediten unterstützen, falls sie benötigt werden. Dem stationären Händler aber um jeden Preis das Überleben zu sichern, sollte – bei allem Verständnis für das Anliegen, eine lebendige City zu haben – nicht die Marschrichtung für Kommunen und Verbände sein. Vielleicht wäre es besser, in den Innenstädten mehr Wohnraum zu schaffen, statt die x-te Filiale einer Mode-, Handy- oder Fastfoodkette anzusiedeln. Oder wie es in letzter Konsequenz vom Experten im LZ-Interview auf den Punkt gebracht wird: „Lieber eine schöne Schlafstadt als eine hässliche Einkaufsstadt mit leeren Schaufenstern“.