D2C – Teure Marktforschung oder strategische Vertriebs-Chance?

Derzeit zieht sich ein Thema wie ein roter Faden durch die Marketing-Fachliteratur und die Wirtschaftspresse. Der direkte Vertrieb von Gütern und Dienstleistungen an Konsumenten in etablierten zweistufigen Geschäftsmodellen beschäftigt die Gemüter der Marktteilnehmer.

In der Tat vermarkten seit einigen Jahren zusehends mehr Hersteller ihre Sortimente direct-to-consumer, kurz „D2C“. Neben dem klassischen zweistufigen Vertrieb über den Handel scheint sich damit ein weiterer Distributionsweg zu etablieren. Wundert mich nicht. Darf auch den Handel nicht überraschen, denn insbesondere FMCG-Anbieter sehen sich aktuell mit dem folgenden Markt-Szenario konfrontiert:

  • Zunehmende Handelskonzentration im stationären LEH bedeutet …
    • … eine stärkere Abhängigkeit der Industrie von einzelnen Key Accounts
    • … ein höheres Verlustrisiko bei Auslistungen
    • … größere Verhandlungsmacht der „Big Four“ Edeka, Rewe, Schwarz, Aldi und – mit Abstrichen – der Drogeriemarktgiganten dm und Rossmann
  • Wettbewerbsdruck durch zusehends professioneller geführte und intensiv (z. T. auch aggressiv) beworbene Eigenmarken der Händler; vgl. Beitrag gestern!
  • Tiefere Erkenntnisse des Handels über das Shopper-Verhalten durch die Auswertung eigener Scannerdaten, im Rahmen von Kundenbindungs-Programmen und durch die Analyse von Online-Shopping-Journeys
  • Zusätzlicher Wettbewerbsdruck durch D2C-“Pure Players“, die mit neuen Ideen und Geschäftsmodellen etablierte Branchen aufmischen (Beispiele: MyMüsli, Dollar Shave Club)

Zusammengenommen ergibt sich daraus eine anspruchsvolle Herausforderung für etablierte Markenartikel-Unternehmen. Deren Geschäftserfolg basierte über Jahrzehnte darauf, möglichst viel Ware in großen Europaletten auf die Verkaufsflächen zu schieben und – gemeinsam mit dem Handel – für einen schnellen Warenumschlag zu sorgen. Genau dieses Modell wird zwar sicher auch in den kommenden Jahren als Geschäftsbasis erhalten bleiben, gerät durch die o. g. Faktoren jedoch zusehends unter Druck.

Eine D2C-Vermarktung eröffnet der Industrie die Chance, einen weiteren, autonomen Vertriebskanal zu erschließen und damit selbst Informationen über das Verhalten ihrer (online-) Shopper und deren Einstellungen zu generieren. Der Hinweis der FMCG‘ler an argwöhnische Retailer, man wolle mit dem Direktvertrieb keinen alternativen Distributionsweg eröffnen, sondern vorrangig Erkenntnisse gewinnen und nur nachgelagert Absatz machen, könnte vom Handel als Beruhigungspille interpretiert werden. Das Argument hat jedoch etwas für sich, sind Aufbau, Pflege und Weiterentwicklung eines Onlineshops sowie Warenwirtschaft und Versandlogistik mit den kleinteiligen Abrechnungsprozessen doch aufwändig und kostspielig. Zudem ist ein stetig zu optimierendes professionelles Suchmaschinenmarketing unabdingbar. Und schließlich darf nicht unbeachtet bleiben, dass ein großer Teil der Kunden beim Lebensmittelkauf zum „One-Stop-Shopping“ tendiert. Diese Shopper möchten nicht jede Kategorie ihres Einkaufs (mehrmals) wöchentlich beim jeweiligen Hersteller separat ordern.

Soweit die „Downside“, doch welche Vorteile versprechen sich Hersteller vom direkten Draht zu ihren Endkunden? Neben vertriebsstrategischen Überlegungen, der zunehmenden Machtverschiebung Richtung Handel stand zu halten, sind es vor allem die folgenden Punkte:

  • Schaffung exklusiver emotionaler Markenbegegnungen / Brand Building
  • Aufbau und Pflege eines kontinuierlichen Kundendialogs
  • Erkenntnisgewinn zu Marke, Sortiment und Services
  • Entwicklung relevanter personalisierter Angebote
    und dann doch auch:
  • Erhöhung des Rohertrags (durch den Wegfall von Handelsmargen und geringeren Distributionskosten)

Eine aktuelle Erhebung von KPMG zeichnet ein repräsentatives Stimmungsbild der D2C-Zielgruppe. Für ihr neuestes Consumer Barometer ließen die Berater vom IFH Köln 500 Konsumenten online befragen und führten on top Experteninterviews zur Einordnung der Ergebnisse. Als häufigste Gründe für einen Kauf direkt vom Hersteller wurden „Verfügbarkeit“ und „persönliche Vorteile“ genannt.

Quelle: KPMG

Zwei weitere Ergebnisse sind für die FMCG Industrie interessant:

Wunsch der Kunden, Horror für den Handel:
gemeinsame Plattform der Hersteller

Tendenziell werden D2C-Angebote mit steigendem Wert, zunehmender Exklusivität und abnehmender Kauffrequenz für die Shopper relevanter. Können Händler die D2C-Initiativen von Haribo, Dr. Oetker & Co also noch(!) relativ entspannt verfolgen, ist bei entsprechenden Maßnahmen von Sportartikelfirmen, Elektro-Großgeräteherstellern oder Fahrradmarken eine gewisse Nervosität im stationären Facheinzelhandel nachvollziehbar.

Die Markenartikelindustrie gibt sich in Sachen D2C (noch) relativ zurückhaltend. Denn D2C bedeutet nicht nur „nebenher“ ein wenig Online-Präsenz mit einer Bestellmöglichkeit für die Kunden. D2C ist – konsequent umgesetzt – ein disruptiver Ansatz fürs klassische Geschäftsmodell. Deshalb erfordert es strategische Investitionen und einen langen Atem, wenn etablierte Brands D2C zu einem nachhaltigen Erfolg machen wollen. Es ist sicher nicht zu hoch gegriffen, von einem Paradigmenwechsel zu sprechen. Hier die über Jahrzehnte etablierte und erfolgreiche Strategie, möglichst viel Ware via stationärer Verkaufsstellen an eine anonyme Masse von Konsumenten zu verteilen. Nun die Anforderung, eines fein austarierten „one-to-one“-Beackerns von Online-Zielgruppen mit dem Potenzial personalisierter Verkaufsdialoge. Aktuelle Autoren gehen indes so weit, dass sie das Geschäftsmodell des D2C-Vertriebs auch für Anbieter schnelldrehender Verbrauchsgüter als alternativlos einordnen. Beispielhaft sei hier das aktuelle Werk D2C Growth Revolution von Stefan Ramershoven genannt.

Fazit:
Mehrere Gründe sprechen für ein Engagement in Sachen D2C-Vermarktung. Neben der ganz pragmatischen Überlegung, seinen Endkunden eine weiteren Bezugsquelle ohne Regallücken zu erschließen, lassen sich über einen professionell geführten Kundendialog wertvolle Erkenntnisse über die Zielgruppe gewinnen. Diese Insights können einen Beitrag leisten, um effektivere taktische und strategische Marketingentscheidungen zu treffen. Zudem bietet D2C eine Plattform für emotionale Markenerlebnisse und damit zum Brand Building. FMCG-Anbieter sollten nach Festlegung quantitativer Zielsetzungen und klar formulierter Marketing- und Vertriebsziele über ein D2C-Engagment nachdenken. Nach einer Testphase und auf dem Prüfstand einer konservativ angelegten Wirtschaftlichkeitsberechnung sollten die D2C Aktivitäten bewertet und ggfs. neu justiert werden.

Die KPMG-Studie ist hier bestellbar