Die Zeit, die Printanzeigen oder Online-Banner zum Wirken haben, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Deshalb gibt es DIE Betrachtungsdauer per se nicht. Sie wird beeinflusst u. a. von den eingesetzten Werbemotiven, dem redaktionellen Umfeld, dem Verhältnis des Betrachters zur beworbenen Kategorie und der Absendermarke, ebenso von persönlicher Befindlichkeit und Situation des Betrachters und und und. Betrifft Endkunden ebenso wie Business-Zielgruppen. Setzen wir einmal voraus, dass alle Faktoren erfüllt sind. Stellen wir uns die Führungskraft eines Handelsunternehmens bei der Lektüre der B2B-Fachpresse vor. Nehmen wir an, sie blättert einigermaßen entspannt eine aktuelle Ausgabe der „Lebensmittel Zeitung“, der RUNDSCHAU“ oder eines kategoriespezifischen Branchenblatts durch. Sie hat es nicht übertrieben eilig, aber auch keine Zeit zu verschwenden, studiert hier und dort einen interessanten Beitrag und stößt dazwischen immer wieder auf Werbeanzeigen. In diesem fiktiven Szenario hängt es sehr stark von der Anzeigengestaltung ab, wie viel Zeit, der lesende Handelsprofi dafür erübrigt. Tests ergaben eine durchschnittliche Betrachtungsdauer zwischen 4 und 7 Sekunden.
Wir sind großzügig und einigen uns auf 7 Sekunden, einverstanden?
Anhand der folgenden – willkürlich ausgewählten – aktuellen Inserat-Beispiele, möchte ich Sie heute dazu einladen, einen (Selbst-)Test durchzuführen. Nicht wundern: Zwischen den vier Werbemotiven befindet sich unter den Texten jeweils freier Raum zur gedanklichen Regeneration, dorthin denken wir uns ein redaktionelles Umfeld.
Nehmen Sie sich eine Uhr mit Sekundenzeiger und achten Sie darauf, wie viele Sekunden ab dem ersten Blick auf die Anzeigen verstreichen, bis Sie die Kernbotschaft(en) der Motive erfasst haben. Idealerweise so gut verstanden haben, dass Sie sich auch noch einige Zeit später noch daran erinnern können.
Los geht‘s mit Motiv 1, einer halbseitigen Anzeige in der LZ vom 04.06.:
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Sechs Wörter, eine Produktabbildung und viel Packungsinhalt vor einem blauen Hintergrund. Diese OREO-Anzeige benötigt nur wenige Sekunden, um ihre Message zu platzieren. Sie dient damit als perfektes Beispiel, wie effektiv Kommunikation sein kann, wenn man sich dazu diszipliniert, Informationen zu reduzieren. In der Tat ist es bemerkenswert, dass sich die Genuport-Anzeigenmacher nicht dazu verführen ließen, zusätzliche Erzählstränge zu flechten. Keine Rede von Packungsgrößen, Nährstoffen, Mafo-Tests, Zielgruppen oder werblichen Unterstützungsmaßnahmen. Bitte nicht falsch verstehen, das sind alles wichtige Angaben. Diese zusätzlichen Hinweise würden allerdings den visuell sehr starken Erstaufschlag vom neuen Produkt abschwächen. Sie können (und sollten) an anderer Stelle vermittelt werden. Hier geht es alleine um das Ziel, ein neues Produkt beim Handel anzukündigen. Dieses Vorhaben ist mit der Anzeige vollständig gelungen.
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Betrachten wir uns die zweite Anzeige:
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Die Informationen, auf die Oreo in seinem Inserat bewusst verzichtet hat, liefert die TMT Taurus Meat Trading GmbH in der Annonce für den Beyond Burger. Produkt- und Nährstoffangaben, Zielgruppenprofile, Sortimentshinweise – all das finden fleißige Leser in klein(er) gedruckter Prosa unter der Überschrift.
Die allerdings bringt prägnant auf den Punkt, um was es hier geht. Knapp 50 Prozent der Anzeige bestreitet das Motiv mit der großen Abbildung des appetitlich inszenierten Burgers. Darüber die Marke in Bild und Text. Ergo: Händler nehmen das Wesentliche aus diesem 1/1-Inserat in der „LP.economy“ (Mai Heft) binnen Sekunden mit. Der Fließtext darunter liefert ergänzende (Listungs-)Gründe für das Produkt. Müsste nicht sein, schadet aber in diesem Fall auch nicht.
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Kommen wir zu Inserat Nummer drei und stoppen auch hier wieder die Zeit bis zum Erfassen der Kernbotschaft … los geht’s:
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Gut gelungen ist auch den Gestaltern von Edelweiss (Savencia-Gruppe) die Kombination aus prominent inszenierter Produktabbildung und dem Transport der Kernbotschaft (NEU+VEGAN). Die Headline arbeitet trotz des in VERSALIEN gesetzten Wortwurms „GESCHMACKSREVOLUTION“ schnell. In Verbindung mit dem „Neu-Störer“ und der aufwändig inszenierten Produktabbildung sind alle wesentliche Bestandteile der frohen Botschaft von BRESSO enthalten. Analog des Beyond Meat-Motivs informieren sich neugierige Händler via Lektüre der unten angefügten Textblöcke genauer über die neue, pflanzliche Alternative zum etablierten Kräuterkäse.
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So, Stoppuhr bereit für das letzte Motiv?
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Wenn es Ihnen geht wie mir, haben Sie mindestens 10 Sekunden benötigt, um bis zum mittleren Textblock „DARAUF KOMMT ES ELTERN BEIM GLÄSCHEN-KAUF AN!“ zu gelangen. Um die komplette Anzeige von Freche Freunde zu erfassen, dauert es ein Vielfaches der eingangs genannten 4 bis 7 Sekunden Betrachtungsdauer. Warum ist das so? Abgesehen von der schieren Menge an Abbildungen, Textblöcken, Farben und Formen besteht das Hauptproblem dieser Annonce in der fehlenden Kommunikations-Hierarchie! Viele identisch große Bilder und Texte lassen den Leser im Unklaren darüber, worin die Hauptbotschaft besteht. Der Blick wandert unstet übers Motiv und sucht vergeblich nach einem visuellen Anker. Wir finden hier also einen typischen Fall von „inside-out-Konzeption“ nach dem Motto „Was können wir unseren Handelspartnern alles erzählen?“ und eben nicht den Ansatz wie in den drei Anzeigen zuvor: „Welche – eine (1!!!) – Kernbotschaft sollen schnelle Leser erkennen und mitnehmen?“ Die Wahrscheinlichkeit, dass die Botschaften in diesem Motiv hohe Erinnerungswerte haben werden, ist deshalb gering. Das Budget für diese 1/1-Anzeige in der RUNDSCHAU wird also nicht effektiv genutzt.
Fazit:
Weniger ist mehr – das gilt insbesondere für den knapp bemessenen Raum von Printanzeigen oder Online-Bannern. Gilt für B2B ebenso wie für B2C. Die Beschränkung auf eine einzige Kernbotschaft ist eine wesentliche Grundlage für effektiv arbeitende Werbemotive. Das plakative Ergebnis wirkt dann oft „simpel“. Doch so leicht es auch aussieht, der Ablauf bis zum finalen Layout ist fast immer alles andere als einfach. Meist gibt es zwischen den Beteiligten des Gestaltungsprozesses ein zähes Ringen um die Menge und den Inhalt von Text und Bildelementen. Oft genug finden wir dann einen Werbemotiv gewordenen, verunglückten Kompromiss aus Klarheit in der Gestaltung (das Bestreben der Art Directors) und Vielzahl der Botschaften (die Intention der Auftraggeber). Hier gilt es, einen Schritt zurück zu gehen und sich in die Rolle der Werberezipienten zu versetzen. Meist findet sich dann eine gelungene Lösung, ganz so wie in einigen der heute gezeigten Motive.
Machen Sie also den Sekundentest, wenn Sie im Zweifel darüber sind, ob Ihr Anzeigenlayout effektiv arbeiten wird!!
Abschließend folgt auch heute wieder der obligatorische Hinweis darauf, dass die Bewertung von zufällig ausgewählten Anzeigenmotiven alleine dem Ziel dient, Tipps dafür zu geben, wie B2B-Kommunikation funktioniert – oder eben auch nicht. Basis für diese Einordnungen sind zahlreiche Werbewirkungs-Studien und die als Konsens erachteten, allgemein gültigen Regeln für effektive Gestaltung. Nur zu gut weiß ich als Praktiker von den Zwängen und (scheinbar) unabänderlichen Rahmenbedingungen bei der Entwicklung von Kommunikationserzeugnissen.