POS-Marketing 2020: zwischen Jahrmarkt-Reklame und Retail-Tainment

In der Aufteilung der Kommunikationsdisziplinen schienen die Rollen lange Zeit klar verteilt: hier die klassische Werbung, die sorgsame Entwicklung strategischer Kampagnen direkt aus dem Kern der Marke heraus. Ausgelegt auf langfristigen Vertrauensaufbau der Öffentlichkeit zur Brand und strategisch hergeleitet. Dort die Verkaufsförderung, die mit pfiffigen Aktionen und lautem Getöse zur Sicherung kurzfristiger Absatzziele beiträgt.

Veränderte Medienlandschaft

Die Führung der Marke also gegenüber Brand-Promotion. Pull versus Push und Brand Building auf der einen, Hard Selling-Maßnahmen auf der anderen Seite. War einmal. Ist heute anders. Sollte anders sein, denn die eingangs beschriebene Differenzierung stammt aus einer noch sehr überschaubaren, klar strukturierten Handels- und Medienwelt. Kommt also aus einer Zeit, in der es nur einige relevante TV-Sender, Radiostationen und Printtitel gab, mit deren Belegung – optional garniert mit 18/1-Plakatierung und Kinospots – fast alle Zielgruppen für nahezu jedes FMCG-Produkt mit Werbeinhalten erreicht werden konnten. Die Handelslandschaft war polypolistisch geprägt, bestehend aus zahlreichen, ähnlich starken Wettbewerbern, die sich auf ihre Kernaufgabe, das Betreiben stationärer Verkaufsflächen, konzentrierten.

Neues Selbstverständnis der Händler

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Situation gedreht: Während die Medienvielfalt immer unüberschaubarer wird, die Entwicklung neuer Werbemöglichkeiten in der digitalen Welt immer rasanter voranschreitet, nimmt die Konzentration im stationären Handel stetig zu. Die Vielzahl kleiner Fachgeschäfte für Lebensmittel und Gebrauchsgüter schwindet zugunsten von einigen wenigen, marktbeherrschenden Unternehmen. Der LEH steht vor einer neuen Stufe der „Vermachtung“, wie es die Industrieseite erschauernd nennt. Mit der bevorstehenden Aufteilung der Real-Häuser (u. a. wohl an an Edeka und Kaufland) werden die marktbeherrschenden „Fab Four“ – Aldi, Edeka, Rewe und Schwarz – noch stärker, die Marktstruktur entwickelt sich weiter vom einstigen Polypol zum Oligopol hin. Im Zuge dieser Wandlung verändert sich auch das Selbstverständnis der Händler. Deren Wachstum erfolgte in den vergangenen Jahrzehnten durch Übernahme von Wettbewerbern (z. B. Leibbrand, Tengelmann, Plus, Extra, Spar, Massa) und (auch dadurch) die Erhöhung der Vertriebsstellen. Kaum ein Land ist ähnlich dicht mit LEH-Outlets überzogen wie Deutschland. Die Möglichkeiten des Wachstums durch Expansion sind jedoch endlich, die Händler geraten zusehends in einen Verdrängungswettbewerb. In diesem Kampf punktet beim Shopper, wer mit einladenden Verkaufsflächen und einem attraktiven Gesamtbild zusätzlich zu den Basiskriterien wie u. a. Sortimentsbreite und -tiefe aufwarten kann. Beispiel Aldi: vom verschlossenen Hard Discounter ohne Schnörkel und schmalem Warenangebot aus Eigenmarken, angeboten in kargen Verkaufsräumen hin zum kommunikativen Rundum-Anbieter mit Markenartikeln im schön ausgeleuchteten Supermarkt-Ambiente. Beispiel Edeka: vom Supermarkt mit breitem Warenangebot zum Frischespezialisten mit Wochenmarkt-Ambiente und -auswahl. Die ehemals stark auf Warendistribution und Logistik fokussierten Retailer verstehen sich deshalb mittlerweile u. a. als Gastronomen, Start-up-Investoren und vor allem Anbieter eigener Marken. Die Private Labels sind in nicht wenigen Kategorien des LEH führend und nähern sich sowohl im äußeren Erscheinungsbild als auch beim Markenmanagement den Industriestandards an.

Verkaufsförderung 2.0

Dieses Setting verlangt seitens der Industrie eine andere Art der „Verkaufsförderung“. Genügte früher eine nationale Promotion mit Display, Topschild, Teilnahmekarte, um eine „Verkaufsrunde“ bei allen relevanten Händlern zu fahren, entspricht dieses Vorgehen heute bei weitem nicht mehr der Erwartung der Handelsmanager.

Nur, damit wir uns nicht falsch verstehen, die geschilderte Art von Promotion gibt es natürlich noch, wird es auch weiterhin geben; geeignet für taktische kleine „Pushs“ am POS. Strategisch muss eine Marke allerdings in der Lage sein, ihren Absatzmittlern deutlich mehr an Inhalt zu bieten. Muss fähig sein, sowohl die Händlermarke (Achtung, nicht die Handelsmarke) zu verstehen und bei der Entwicklung von Vermarktungs-Konzepten zu integrieren, als auch die eigene Marke am POS erlebbar zu machen. Professionelles POS-Marketing berücksichtigt also Positionierung, Vermarktungsstrategie sowie nutzbare Medien und Ressourcen des Handelspartners, ohne die Entwicklung der eigenen Marke zu vernachlässigen. Nur mit diesem kooperativen Ansatz werden Lösungen entstehen, die für beide Seiten tragfähig sind und zu erfolgreichen Umsetzungen führen. Win-win also. Der Anspruch an modernes professionelles POS-Marketing sollte es sein, die Marke an allen relevanten Touchpoints zu führen, insbesondere im Live-Kontakt auf den Verkaufsflächen. Dafür müssen die Voraussetzungen beim jeweiligen Händler berücksichtigt werden. Sei es im Rahmen kompletter Kampagnen oder einfach dadurch, dass man seine Möglichkeiten und Restriktionen am POS kennt. Vermarktungs-Kampagnen sollten also in die Markenwerte einzahlen, nicht alleine in die Vertriebsziele. Kommunikation der Marke als RetailTainment statt auf schnellen Erfolg getrimmte „Jahrmarkt-Reklame“. An zwei aktuellen Beispielen können wir uns das wunderbar verdeutlichen:

Hervorragendes aktuelles Beispiel für Brand Building am POS:
Captain Morgan-Schiff als Zweitplatzierung.
Kommt ebenfalls direkt aus der Marke: der Hut als Zugabe!
Quelle: ProBar®
Beispiel für „Jahrmarkt-Reklame“ am POS:
Gewinne von 11 Millionen, ausgelobt von Milka.
Austauschbar und ohne Markenbezug!
Quelle: ProBar®

Ein sehr gelungenes Beispiel für eine Vermarktungskampagne, die sowohl den POS als auch angrenzende (digitale) Medien inkludiert, ist die Milupa „Entdeckerreise“ bei Rossmann. Für diese Initiative wurde nicht alleine die Kindernahrungs-Brand als Plattform genutzt, auch die Attribute der Händlermarke, die Ziele des Drogeriemarktunternehmens und die Kundenstruktur dienten als Leitplanken für die Konzeption. In der Umsetzung finden die Kunden ein komplettes Portfolio unterschiedlicher Vermarktungsimpulse – von Produktpräsentationen über Anwendungshinweisen bis zu Gewinnspielen.

https://www.rossmann.de/de/entdeckemilupamilch