Deutscher Handelskongress 2021 / Teil 2: Das Bekenntnis zur stationären Verkaufsfläche

Am Freitag endete der Beitrag in diesem Blog mit der Frage, wie es dem Textil- und Gebrauchsartikel-Discounter NKD gelingt, über 2.000 Distributionsstellen rentabel zu bewirtschaften. Der Schlüssel sei, so Dr. Ulrich Hanfeld (CEO des Unternehmens) im Handelskongress-Strategieforum „Re.Start Digitalisierung: Trends und Tech“, mehr Interaktion mit den Kunden auf der Fläche zu schaffen. Die typische Kundin beim Niedrig-Kalkuliert-Discounter – Mutter ab ca. 35 Jahren mit zwei Kindern – suche keine Erlebniswelt im Billig-Outlet, sondern relevante Angebote. Deshalb setze NKD genau hier an: Was ist relevant für die Kunden, verbessert die Aufenthaltsqualität im Outlet, erfordert wenig Personaleinsatz und kann auf mehr als 2.000 Flächen problemlos umgesetzt werden?
Als Beispiel für eine gelungene Antwort auf diese Fragen nannte Hanfeld die strategische Partnerschaft mit DPD. Für den Logistik- und Versanddienstleister entwickelten sich die Discountmärkte mittlerweile zu den bedeutendsten Paketumschlagsplätzen in Deutschland. Erfreulicher Zusatzeffekt für NKD sei der dadurch bedingte Gewinn neuer Kunden auf der Verkaufsfläche. Der ehrgeizige Plan des einst insolventen Filialisten: Mit weiteren stationären Partnerangeboten, wie demnächst FinTech-Services, wolle NKD zum Quartiersanker und damit zur zentralen Anlaufstelle für Kunden im Einzugsgebiet werden. Selbstverständlich verlässt sich der oberfränkische Billighändler dennoch nicht alleine aufs konventionelle Ladengeschäft – auch im NKD-Onlineshop können Kunden einkaufen.

Bietet künftig mehr als Textilien und Haushaltsartikel:
NKD Filiale als Multiservice-Station
Aufgeräumt wie ein Wühltisch vor Ladenöffnung:
der NKD Online-Shop

Zweimal Frischer Wind fürs Retail-Geschäft mit Google

Mit der für Händler provokanten Frage „Ist der stationäre Handel tot?“ beschlossen Ingrid Hochwind und Christian Bärwind (Google) das launige Intro ihres Beitrags „Vom Sorgenkind zum Vorreiter: Die digitale Zukunft des stationären Handels“. Wie der Titel des Händler ermutigenden Vortrags bereits andeutet, lautete die Antwort auf diese Frage folgerichtig: „Nein – es lebe der Laden!“ Zwar habe es in den vergangenen beiden Jahren einen dramatischen Zuwachs an
E-Commerce-Shoppern gegeben und die Grundpfeiler des Handels wurden erschüttert. Allerdings seien die Suchanfragen für das Kaufmodell „Click & Collect“ extrem angestiegen – die sogenannte „Discovery-Phase“ habe sich jedoch überwiegend ins Netz verlagert:

Ständig im Entdeckungsmodus:
Kunden auf der latenten Suche
nach dem besten Angebot im Web.
Quelle: Google
Sehen sich als Partner des Handels:
Google Manager Bärwind (rechts) und Hochwind (links)
beim Deutschen Handelskongress

An einem Beispiel illustrierten die Retail-Experten, wie stark On- und Offlinewelt mittlerweile verknüpft seien. Bei der Suchmaschine ihres Vertrauens können Kunden sich nicht nur anzeigen lassen, wo im Fall eines plötzlichen Bedarfs Regenjacken in der Nähe des eigenen Standorts erhältlich, sondern auch ob sie im Lager verfügbar seien. Mit dem Apell an die zuhörenden Retailer, die Customer Journey noch stärker gemeinsam zu nutzen („Zusammen sind wir stärker“) und einem letzten Praxisbeispiel für den Erfolg vernetzter Kampagnen entließen die Vertreter vom amerikanischen Datengiganten das gespannt zuhörende Auditorium.

Der ROAS der vernetzten Kampagne ist 2,5 mal höher
als bei der singulären Nutzung bestimmter Kanäle.
Quelle: Google


Berater als Händler – der Corner Shop von Capgemini

Mit dem signifikant verändertem Einkaufsverhalten der Kunden begründete Tobias Weisel vom Beratungsunternehmen Capgemini den Aufbau eines eigenen Ladens mitten in London. Der CornerShop ist laut Website des Consulting-Riesen „… als Live-Testumgebung für Marken, Einzelhändler und Kunden konzipiert, um die neuesten Technologien auszuprobieren und das Einkaufserlebnis in den Bereichen Lebensmittel und Getränke, Kosmetik und Mode neu zu gestalten. Die Endkunden können die Produkte im Shop auch kaufen“.

Die Idee dahinter ist ein „Win-Win“ mit den Shoppern: Sie verraten etwas über sich und erhalten dafür individuelle Angebote (z. B. Lebensmittel-Präferenzen, Allergien, Vegetarier usw.) – subsumiert unter dem Begriff „Selbstprofilierung“. Der „Liquid Basket“ beschreibt das Scannen von Artikeln im Store und deren Online-Erwerb innerhalb der Filiale. Mit welchen weiteren Technologien der smarte Store das Einkaufen verbessern und die Tiefe der vom Shopper erhobenen Daten erweitern möchte, zeigt das folgende Schaubild.

Eckladen in London als Spielwiese
für neue digitale Anwendungen
Quelle: Capgemini

Die Herausforderung für eine effektive digitale Erweiterung von stationären Flächen – so das Fazit von Weisel – sei es, für die relevanten Zielgruppen genau die Services anzubieten, die jeweils zur Kundenstruktur passen. Perspektivisch bekomme die Instore-App des Händlers die Rolle einer Fernbedienung des Shoppers für die Filiale. Zentrale Herausforderung dabei sei es, die (potenziellen) Kunden zum Herunterladen der App zu aktivieren.

Vielfältige Optionen für Kunden,
doch welche sind wirklich relevant?
Quelle: Capgemini

N3XT Generation bei MediaMarkt Saturn

Wie angenehm es sein kann, einen Fachvortrag ganz ohne vermeintlich „geschlechterkorrekte“ Sprache zu verfolgen, durften die Zuhörer beim Referat von Sonja Moosburger,  (MediaMarktSaturn) erfahren. Die Chefin der Innovationseinheit N3XT referierte darüber, mit welchen Angeboten der Flächenchampion unter Deutschlands Elektrofachmärkten die Bedürfnisse einer immer mobileren Zielgruppe erfüllt. Im Wesentlichen gehe es dabei um vier Bereiche:

  • Geschwindigkeit
  • Convenience
  • Transparenz
  • Kundenzentrierung

Die einzelnen Maßnahmen aus diesen Themenfeldern müssten sich permanent den Anforderungen der Kunden anpassen. Omnichannel sei eine „Reise ohne Ziel“ und könne nur dann erfolgreich sein, wenn – wie im Falle MediaMarkt Saturn – die komplette Organisation kontinuierlich Prozesse hinterfragt und sie bei Bedarf schnell anpassen könne. Als Beispiele für diese veränderten Leistungsangebote nannte Moosburger u. a. Handy-Rücknahmeautomaten in einigen Filialen, Online-Prüfung von Warenverfügbarkeiten im Outlet, Instore Navigation der Kunden via Smartphone oder auch den Xperion-Markt in Köln speziell für Streamer und Gamer. Moosburgers Fazit: Veränderungsbereit sein, flexibel auch bisher erfolgreiche Abläufe in Frage stellen und kurzfristig anpassen seien die Erfolgsfaktoren für ein funktionierendes Omnichannel-Business. Auf eine einfache Formel gebracht: den Kunden zuhören und machen!

Zeigte die strategischen Felder für Innovationen
bei MediaMarkt Saturn auf:
Sonja Moosburger von N3XT
Beispiel für Kunden-Convenience:
Handy-Rücknahme per Automat
bei Media Markt.

Mit spannenden Beiträgen zu u. a. kommunal gestützter Belebung der Innenstädte, Commerce-Tools im LEH und Community Commerce via Social Media wird die kleine Beitragserie zum Deutschen Handelskongress in den kommenden Tagen fortgesetzt.