Unter dem aufrüttelnden Motto „Re-Start Now. Zeit zum Handeln! Politik, Gesellschaft und Handel von Morgen“ wurde vorgestern der Deutsche Handelskongress gestartet; ausgerichtet vom Handelsverband Deutschland (HDE) und dem EHI Retail Institute. Mit einem gewohnt vielfältigen Themen- und Referentenspektrum bestritten die Veranstalter das erstmals als Hybridmodell organisierte Event.
Routiniert, charmant und unaufgeregt führte TV-Moderatorin Dunja Hayali durchs Programm des ersten Kongresstags bis zu den am Nachmittag beginnenden Strategiesessions; wortreich und meinungsstark begleitet vom HDE-Geschäftsführer Stefan Genth. Für den Brückenschlag zwischen Handel und Politik sorgten die Gespräche mit Josef Sanktjohanser, Präsident des HDE, Michael Theurer, stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender und Armin Laschet, seines Zeichens Ex-Ministerpräsident und -Kanzlerkandidat sowie Noch-CDU-Bundesvorsitzender.
Wie ein roter Faden zogen sich indes die folgenden handelsrelevanten Themen durch Diskussionsrunden und Vorträge:
- Verändertes Verbraucherverhalten durch die Corona-Pandemie
- Situation der Innenstädte
- Nachhaltigkeit
- Customer Centricity
- Omnichannel
Ein weiterer, ganz zentraler Punkt für die Händler war der vielstimmig geäußerte Wunsch an die Politik, bürokratischen Barrieren abzubauen. Zudem schwebt das Damoklesschwert eines erneuten Lockdowns als existenzbedrohende Gefahr über dem stationären Fachhandel, was bei den teilnehmenden Retail Managern für latente Nervosität sorgte. Auffallend außerdem bei den Redebeiträgen: inflationäres Dutzen zwischen Moderatoren aus Beratungsfirmen und Referenten aus Industrie und Handel sowie Redefluss und Zuhören erschwerendes Gendern.
Den Wandel der Verbraucher von primär analogen Shoppern zu überzeugten Online-Bestellern skizzierten mehrere Beiträge, u. a. zeigte Michael Müller von der GfK mit beeindruckenden Zahlen auf, warum sich die Geschäfte vor Ort neu erfinden müssen. HDE-GF Genth beschrieb den Wertewandel der Konsumenten als treibende Kraft für deren Veränderungen im Kaufverhalten:
Warum es neue und kreative Konzepte braucht, um Innenstädte zu beleben, erläuterten in ihrer Diskussionsrunde Andreas Bartmann (GF Globetrotter), Wilhelm Josten (GF Butlers) und Vanessa Stützle (CDO Douglas). Die Zeit, in der das Ladengeschäft auf riesigen Flächen ein „Vollsortiment“ und damit den Kunden „alles“ anbot, gehörten der Vergangenheit an, so der Konsens der Fachgeschäft-Filialisten. Mit neuen Angeboten wie der nahtlosen Verlängerung des stationären Outlets in die Online-Welt und herausragenden Kundenservices im Verbund mit emotionalen Erlebnissen könnte es gelingen, die physische Präsenz in Innenstädten auch weiterhin zu rechtfertigen.
Die Erfordernis zu stärkerer Kundenzentriertheit und zur „Omnichannel“-Präsenz klang in diesem Zusammenhang bereits an und wurde im Beitrag von Karsten Kühn, Vorstand Marketing bei Hornbach, vertieft. Möglich, dass der folgende Satz vom Baumarkt Manager, der radikale „Customer Centricity“ skizzierte, bei manch einem Spitzenvertreter aus Industrie und Handel zu klammheimlicher kritischer Selbstreflexion führte:
„Das Unternehmen wird nicht vom Vorstand geführt, sondern vom Kunden“
Beeindruckend das Beispiel dafür von Hornbach Märkten, die unmittelbar nach dem ersten Lockdown-Tag vom DIY-Outlet zum Abholmarkt konvertierten
Nachdem Dunja Hayali dem FDP-Vize Michael Theurer im Interview zwei Aussagen entlockt hatte, die für Händler hochrelevant werden könnten („Ergebnisse der Ampel-Koalitionäre nächste Woche“ und „Kein erneuter Lockdown mit der FDP“), gab Olla Källenius (CEO Daimler) mit seinem kleinen Impulsvortrag zum Thema Mobilität der Zukunft einige Einblicke in aktuelle Forschungs- und Entwicklungstrends im Automotive-Sektor. Interessant für Händler und deren Flottenmanagement: Seinem klaren Bekenntnis zur Elektromobilität für PKW und in urbanen Bereichen – ab 2025 werden alle Fahrzeugarchitekturen bei Daimler elektrisch – folgte der Hinweis darauf, dass insbesondere für Langstreckentransporte per LKW die Wasserstofftechnologie besser geeignet sei. Die größte Herausforderung bei der Transformation der Individualmobilität von Verbrenner- zur Elektrotechnologie sah der schwedische Top-Manager in der Bewältigung des Zusammenspiels aus erschwinglichem und reichweitenstarkem Produktangebot, breiter Verfügbarkeit von Öko-Strom und Ladeinfrastruktur. Gerade beim letzten Punkt schloss sich der Kreis zum Handel, denn insbesondere Outlets mit Parkplatzangebot könnten einen wesentlichen Beitrag zur breiten nationalen Abdeckung mit Ladepunkten für Elektrofahrzeuge leisten.
Im Interview mit Hayali reichte Noch-CDU-Chef Armin Laschet den persönlich im Berliner Konferenzraum anwesenden und online teilnehmenden Händlern einige wohlfeile Zuckerlis rüber. Neben der Versicherung, die CDU werde den Handel auch weiterhin unterstützen, dürfte auch sein Appell, bürokratische Hürden abzubauen, den Retail-Managern gut geschmeckt haben. Für die politische Zukunft wünschte sich Laschet eine Opposition, die sachbezogen sein sollte und vernünftigen Vorschlägen der Regierung gern auch einmal zustimmen dürfe – versöhnliche Töne also vom stimmenverlustgebeutelten Spitzenpolitiker.
Einen kritischen Beitrag in Sachen Omnichannel in Verbindung mit einem klaren Bekenntnis zum stationären Einzelhandel gab es in der Tat auch an diesem ersten Kongresstag. Dr. Ulrich Hanfeld, CEO vom Discounter-Filialisten NKD glaubt an analoge Ladengeschäfte. Und obwohl der Niedrigpreisanbieter aus Überzeugung stationärer Einzelhändler ist, wissen die NKD Analysten digitale Anwendungen effektiv zu nutzen, wie Hanfelds Hinweise auf die agile Aussteuerung des Marketing-Mix‘ und aufs KI-gestützte Abschriften-Management bei NKD beweisen. Auch das Buzzword „Customer Centricity“ wird vom Discounter-Boss relativiert: Nichts anderes als marktorientierte Unternehmensführung sei das, alter Wein im neuen Marketingschlauch also. Tatsächlich neu sei allerdings die dynamische Veränderung im Kaufverhalten der Shopper, das alte Leistungsversprechen „Geld-gegen-Ware“ reiche nicht mehr aus. Datengetriebene Entscheidungsfindung sei essenziell, um Kunden besser zu verstehen. Doch wie kann sich NKD als stationärer „pure player“ gegen Omnichannel-Mitbewerber behaupten?
Der Schlüssel liegt lt. Hanfeld in nicht im Faktor RetailTainment. Erlebniswelten am POS seien nicht das Geschäft von NKD (weiß übrigens jeder, der eine Filiale von innen kennt; Anm. d. Verf.). Was also ist der Erfolgsfaktor für ein prosperierendes Discounter Business auf über 2000 Verkaufsflächen?
Mit diesem kleinen Cliffhanger zum Wochenende verlassen wir vorerst den Starttag vom Deutschen Handelskongress und lesen uns am Montag wieder in diesem Blog
😉