Pricing Champion: Rotbäckchen!

Product, Place, Promotion, Price: die 4 Ps, des Marketing-Mix‘ sind Ihnen wohlbekannt. Während Sie die ersten drei Bestandteile Ihrer Vermarktungsstrategie fast komplett autark steuern können, liegt die Sache beim Pricing – der fehlenden Preisbindung sei Dank – etwas anders. Den finalen Abgabepreis an den Endkunden bestimmt der Absatzmittler, der Händler. Vielleicht ist das der Grund, warum oft in Preisstrategie und -management weniger investiert wird, als z. B. in die Entwicklung einer neuen Werbekampagne, der Überarbeitung des Produktdesigns oder in die Vertriebsmannschaft. Obwohl selbst kleine Preispunkt-Veränderungen einen großen Hebel haben können, wie wir aus Preiselastizitätsstudien wissen.

Auf den Gedanken gebracht hat mich die Firma Rabenhorst, Herstellerin der Rotbäckchen-Säfte. Die Unkeler Saftproduzenten erweitern nun ganz aktuell ihr Sortiment um zwei „Kraftpakete“ im Shot-Format: „Immunschutz“ und „Konzentration“ jeweils in 60-Milliliter-Flaschen. Der Preis?

1,69 €

Jetzt denken wir kurz nach und rechnen per Dreisatz um … richtig: für eine gängige Menge von 0,75 Liter Saft hieße das schlappe

21,13 €.

Wow.

Mutig oder unverschämt? Clever! In der Tat ist das Angebot der kleinen Kraftpäckchen als Maßnahme zur Sortiments-Segmentierung ein geschickter Schachzug des Hauses Rabenhorst. Die knubbeligen kleinen Glasflaschen haben das Zeug dazu, den Mitnahme-Impuls am POS zu aktivieren; geschickt unterstützt durch die prominente Auslobung des jeweiligen Produkt-Benefits auf dem Frontetikett („IMMUNSCHUTZ“, „KONZENTRATION“). Die Wahrscheinlichkeit, dass die fruchthaltigen Fläschchen mit den saftigen Preisen im Einkaufswagen landen, ist hoch, denn wir dürfen davon ausgehen, dass ein großer Teil der impulsgetriebenen eiligen Shopper am POS keine Verhältnismäßigkeitsrechnungen anstellt.

Die beiden Neuheiten im Mini-Format ergänzen die Range aus unterschiedlichen Gebindearten und -größen der Traditionsmarke (750 ml und 125 ml Glasflaschen sowie 200 ml Tetra Pak). Geschenkt, dass hinter den vollmundigen, indikationsbezogenen Auslobungen ein Set an Inhaltsstoffen in eher dezenter Dosierung steckt. Die Variante „Immunschutz“ bietet 80 mg Vitamin C. Damit kann man problemlos einer Skorbuterkrankung vorbeugen, für einen Erkältungsanflug freilich ist das Immunsystem damit nicht gewappnet.

An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs erlaubt: für die Wirksamkeit als Virenabwehr sollten es dann schon einige Gramm(!) Vitamin C pro Tag sein, wie wir aus entsprechenden Studien wissen; hochdosiert wird Vitamin C sogar als ein mögliches Mittel gegen Viruserkrankungen (bis Corona) gehandelt. Klicken Sie in den Link, finden Sie Sätze wie: “In addtion, a few studies have shown that vitamin C deficiency is related to the increased risk and severity of influenza infections”.

Zurück aber zur Homöopathie, zurück zum Rotbäckchen-Marketing. Die Säfte finden wir ja nicht (nur) in der Apotheke, sondern im Super- und Getränkemarkt unseres Vertrauens. Dort müssen Marken höllisch aufpassen, dass sie mit himmlisch klingenden Gesundheitsversprechen nicht in Konflikt mit der EU-Health Claims Verordnung kommen. Die Produktbezeichnungen der Rotbäckchen Säfte sind also eine juristische Gradwanderung, bei der die Formulierung „…zur Unterstützung…“ dabei hilft, das rechtliche Gleichgewicht zu behalten.

Dass mit diesen Versprechungen nicht jeder einverstanden ist, zeigte die Klage des Verbraucherverbands im Jahr 2015, die vom BGH jedoch abgeschmettert wurde.

Unter Marketing-Aspekten betrachtet, ist Rotbäckchen ein Paradebeispiel für kontinuierliche, sorgfältige und behutsame Markenarbeit über Jahrzehnte hinweg. Seit dem Launch im Jahr 1952 steht die Brand für gesunden Saft, der schmeckt. Mit dieser Positionierung wurde ein stabiles Fundament für das Vertrauen der Konsumenten gelegt, auf dem die Sortimentsstrategie aufbaut, neben der Klassik-Variante weitere funktionale Direktsäfte anzubieten. Mit dem Mix aus Glaubwürdigkeit, Stabilität, Reputation und Konzentration auf den Markenkern hat Rotbäckchen das Zeug dazu, die Portfolio-Erweiterung zu Premiumpreisen erfolgreich am POS zu vermarkten.