Kunden als Mitarbeiter – das Wiener Experiment

PKW-Besitzer betätigen sich als Taxifahrer (Uber). Wohneigentum dient als Beherbergungsstätte (AirBnB). Bahnreisende mühen sich an Ticketautomaten mit komplexen Verbindungs- und Tarifstrukturen ab und Kunden von Finanzinstituten tippen autark ellenlange Buchstaben-/ Zahlenkombinationen in Terminal- oder Computertastaturen ein, wo ehemals beflissene Bankanstellte einen Rundumservice boten. Die Motivation von Unternehmen, Kunden zu Mitarbeitenden zu machen, ist unterschiedlich, die Tendenz aber eindeutig – anscheinend immer mehr einst originäre Aufgaben und Dienstleistungen der Anbieterseite werden auf die Nachfragenden umgeschichtet. Können wir in den ersten beiden Beispielen (Uber, AirBnB) noch von einer „Win-Win“-Situation sprechen – die gewerbetreibenden Privatanbieter profitieren von der angebotenen Dienstleistung – sind die gekappten Serviceleistungen von Banken und Bahn ausschließlich effizienzgetrieben und zielen auf höhere Gewinnmargen ab. Weitere gängige Wege, Kunden am Geschäftsmodell partizipieren zu lassen, sind z. B. die im FMCG-Sektor populären Crowd-Sourcing-Initiativen, in deren Rahmen sich Konsumenten als Produktentwickler, Packungsdesigner oder Kreativkraft zur Namensfindung betätigen. Weiterhin kennen wir die berühmt berüchtigten Strukturvertriebe, deren Mechanismus darauf beruht, ehrgeizige Klienten mit einem Einkommen als Sales-Repräsentanten und -Führungskräfte zu locken.

Ein weiteres Motiv, Kunden nicht nur als Könige zu behandeln, sondern auch als Dienstboten zu nutzen, liefern uns nun ganz aktuell die Wiener Linien, regionale Betreibergesellschaft des öffentlichen Nahverkehrs in der österreichischen Bundeshauptstadt. Angesichts stetig steigender Emissionen durch erhöhtes (Liefer-)Verkehrsaufkommen in der Austria-Metropole, ersannen die Transportprofis einen cleveren Ansatz, um den überbordenden Autoverkehr in der Stadt zu entlasten. Die Idee: Fahrgäste sollen entlang ihrer (täglichen) Fahrstrecke Sendungen an Paketboxen abholen und abgeben. Das ehrgeizige Ziel mit diesem Konzept ist es, die durch KEP-(Kurier-, Express, Paket) Zustellung verursachten Emissionen um ein Fünftel zu senken. Ob und wie die privaten Paketzusteller entlohnt werden sollen, erheben die Wiener Linien derzeit im Rahmen einer Befragung der Fahrgäste („Würden Sie Pakete in den Öffis mitnehmen?“)

Wir sind gespannt: Sollte das Wiener Modell bei den Bus- und Bahnreisenden reüssieren, könnte es als Blaupause für weitere Metropolen dienen.

Apropos blau und Pause …sehe ich doch die Kollegen vom städtischen Reinigungsdienst gerade gemäßigten Schrittes zur Bäckerei schlendern … hier böte sich für die Kommune doch jede Menge Einsparungspotenzial! Nutzte man die Mitmach-Möglichkeiten von Anwohnern bei der Schmutz- und Laubbeseitigung konsequenter aus, könnte man getrost auf die meisten Einsätze der orangefarbenen Kraftfahrzeuge und -maschinen verzichten. Besen und Kehrblech statt Kehrmaschine und nervtötende Laubbläser. Gut für die Umwelt, angenehmer fürs Gehör und schonend für den Stadtsäckel. Zudem gäbe es für die wachsende Zahl körperlich leicht eingeschränkter, hochbetagter Senioren eine hervorragende Zusatzbeschäftigung. Statt das Leben in der Nachbarschaft einfach nur aus Interesse an den Mitmenschen vom heimischen Fenster aus zu verfolgen, bekäme diese Beschäftigung neuen Sinn. Als – sagen wir – „Street-Cleaning-Supervisors“ würden die Ergebnisse der Straßenreinigung quasi vom „Home Office“ aus kontrolliert – ehrenamtlich versteht sich!
😉