POS-HOTS Praxis: Der RFP .. oder die Kunst, einem nackten Mann in die Taschen zu greifen.

Auf dem Markt der Marketing- und Vertriebsdienstleistungen treffen ein äußerst heterogenes Angebot und eine stark differenzierte Nachfrage aufeinander. Gerade das Feld der Kommunikation ist dabei äußerst weit. Um sich in diesem Umfeld eine maximale Transparenz bei der Auswahl ihrer Geschäftspartner zu verschaffen, nutzen viele Auftraggeber – insbesondere international agierende Konzerne – standardisierte Selektionsprozesse. Mittlerweile hat es sich etabliert, dass dabei die Einkaufsabteilungen die komplette Durchsteuerung dieses Ablaufs übernehmen. Je nach Unternehmensleitlinie, Auftragsvolumen oder Intention für die Ausschreibung nutzen die Purchase-Profis dafür mehr oder weniger umfangreiche Formularsammlungen. Die in der Praxis für den Einkauf von Kommunikationsdienstleistungen wichtigsten sind:

RFI (Request for Information)
Dabei geht es meist um eine Vorauswahl potenziell möglicher Lieferanten. Der RFI wird eingesetzt, wenn man sich am Markt zunächst einen Überblick verschaffen möchte, welche Anbieter für die benötigte Leistung grundsätzlich in Frage kommen. Inhalte des RFI sind demnach vornehmlich Informationen zu Unternehmensstruktur und -größe, Leistungsspektrum, Arbeitsschwerpunkten, Referenzen etc. Oft wird dieser Schritt einer vertiefenden Abfrage vorgeschaltet.

RFQ (Request for Quotation)
Das ist die Anforderung einer Preisliste, eines Angebots oder einer detaillierten Kalkulation für eindeutig definierte und gut standardisierbare Leistungen wie z. B. Entwicklung von Werbemitteln, klar umrissene Konzeptionsleistungen oder Produktionskosten von spezifizierten Artikeln. Den RFQ erhalten alle als relevant erachteten Lieferanten, die ggfs. im vorangegangenen Schritt per RFI ausgewählt wurden.

RFP (Request for Proposal)
Im Rahmen des RFP geht es darum, den geeignetsten Partner zum besten Preis für ein konkretes Projekt oder eine umfassende längerfristige Zusammenarbeit zu finden. Nicht selten beinhaltet diese Abfrage die Bestandteile von RFI und RFQ sowie zusätzlich noch die Aufforderung, bereits erste Ideen, Konzeptansätze oder gestalterische Ausarbeitungen zu liefern.

In der Praxis variiert der Umfang an abgefragten Informationen insbesondere beim RFP sehr stark. Genügt manchen Auftraggebern eine Aufstellung der wichtigsten Unternehmensdaten, ein Firmenprofil mit Praxisbeispielen und einer Leistungsaufstellung sowie die Preisliste mit Angebot fürs konkrete Projekt, fordern andere Einkaufsabteilungen detaillierte Aufstellungen von Geschäftszahlen (Bilanzen) der vergangenen Jahre, umfangreiche Excel-Tabellen mit der Bepreisung aller denkbaren Werbemittel plus „Open-Book-Kalkulation“ für bestimmte Leistungen ab. Das offene Buch schafft beredt Kenntnis über Personalkostenbestandteile, Bonusregelungen, Overhead-Kosten und Marge. Ein Schelm wer dabei unterstellt, dass bei den Einkäufern schon das komplette Set an Schraubwerkzeugen bereitliegt, um die Profitabilität potenzieller Partner herunterzudrehen. Zusätzlich darf es dann auch schon noch die Erstellung eines Konzepts für das angefragte Projekt sein – unentgeltlich versteht sich. Nicht unerwähnt bleiben sollen die umfangreichen Unterlagen mit Unternehmensinformationen, Einkaufsbedingungen, Compliance-Regelungen, Vertraulichkeitsvereinbarung etc., die alle zu lesen und zu unterschreiben sind.

Das Bestreben von Unternehmen, sich bei strategischen Einkaufsentscheidungen eine möglichst breite und tiefe Informationsbasis zu verschaffen, ist nachvollziehbar. Allerdings sollten sich am RFP teilnehmende Dienstleister überlegen, ob sie sich in Sachen interner Kalkulation tatsächlich transparent machen wollen. Ob sie den Aufwand einer Vorleistung mit der Entwicklung von Pro-Bono-Arbeitsproben guten Gewissens zusätzlich zur ohnehin nicht geringen Auslastung schultern können. Nicht selten ist eine Entscheidung gegen eine Teilnahme am RFP die wirtschaftlich sinnvollere Alternative für Agenturen. Die Praxis zeigt, Auftraggeber, die – ggfs. nach einer ersten Screeningphase (RFI) – mit potentiellen Dienstleistungspartnern sprechen und ihre strategischen Zielsetzungen diskutieren, erhalten eine weit bessere Basis für ihre Agenturauswahl als durch einen RFP. Erhalten zusätzlich Anregungen und neue Impulse für die Herausforderungen in ihrem Geschäftsmodell. Gerade besonders leistungsstarke Agenturen, die ihren (Mehr-)Wert kennen, verzichten zunehmend darauf, an umfangreichen RFP-Abfragen teilzunehmen. Insbesondere dann, wenn die Ausschreibung den Eindruck erweckt, dass der Preis das ausschlaggebende Zuschlagskriterium ist (wir denken an das Bonmot mit den Affen, die diejenigen bedienen, die mit Peanuts bezahlen). Ein solches Vorgehen birgt zudem für den Auftraggeber das Risiko, an Dienstleister zu geraten, die sich aufgrund ihrer prekären Geschäftslage in Projekte „hineinpreisen“, die Preise im Verlauf der Zusammenarbeit allerdings nicht halten können oder eine mindere Arbeitsqualität liefern.

Fazit:
Standardisierte Screening- und Auswahlprozesse im Bereich der Marketingdienstleistungen sind ein effektives Vorgehen, um Lieferanten für Standard-Leistungen auszuwählen. Dabei spielt die Vergleichbarkeit von Preisen eine wesentliche Rolle. Sobald allerdings kompetente Partner für strategische Aufgaben gefunden werden müssen, sollte das persönliche Kennenlernen mit einem intensiven Gespräch oberste Priorität haben. Gern nach intensiver Internet-Recherche, der Nutzung von Screening-Dienstleistern oder einem vorgeschalteten RFI, um die Markttransparenz zu erhöhen. Bezahlte(!) Pitch-Aufgaben, Pilotprojekte oder ein Workshop eignen sich dafür, die/den potenziellen Partner noch besser kennen zu lernen. Ein Telefonat mit bestehenden Kunden des Dienstleisters kann zudem für Aufschluss in Bezug auf die Arbeitsweise des potenziellen Partners sorgen. Und ein oft unterschätzter, im täglichen Miteinander aber extrem wichtiger Punkt sollte nicht vernachlässigt werden: der persönliche Eindruck von den handelnden Personen auf Agenturseite. Dabei ist es kein Fehler auf das „Bauchgefühl“ bei der Entscheidung zu achten.