Balance-Akt in Richtung Zukunft: der Einzelhandel zwischen E-Commerce, autonomen Stores und Service-Oase

Die Corona-Pandemie hat das Geschäft im E-Commerce beflügelt. Auch für Lebensmittel entstand eine wachsende Online-Nachfrage – wenngleich auf immer noch bescheidenem Niveau im niedrigen einstelligen Prozentbereich:

Neue Anbieter wie Picnic, Knuspr, Flink & Co entstanden neben etablierten LEH-Betreibern, die nun auch liefern (Rewe) bzw. solchen, deren Geschäftsmodell das seit jeher ist (Eismann, Bofrost usw.). Die Motivatoren für die Nutzung von Online-Supermärkten sind vielfältig, vorrangig dürften Zeitersparnis und Convenience (Vermeidung von Anfahrtswegen) dazu gehören, ebenso wie im Alter dann auch der Faktor, schwere Wocheneinkäufe nicht mehr selbst erledigen zu müssen.

Eine weitere digital-getrieben Entwicklung sind autonome bzw. teil-autonome Stores. Im Wochenrhythmus lesen wir Presseberichte zu Pilot- und Testmärkten sowie kleineren Roll-outs der maßgeblichen Player im LEH:

„Lidl startet Rollout von SB-Kassen“

LZ vom 15.04., S. 37

„Aldi bereitet sich auf E-Food vor“

LZ vom 15.04., S 38

„Bayern prüft Sonntagsöffnung für autonome Supermärkte“

LZ vom 22.04., S. 18

„Lekkerland will mit Smart Stores loslegen“

LZ vom 20.05., S. 8

Die Vorteile der sich selbst managenden Läden für die Betreiber liegen auf der Hand. Zumindest in der Theorie bieten sie signifikante Einsparungen bei Personalkosten und eine erheblich detailliertere und individuellere Analyse der Kundendaten. In der Tat werden Mitarbeiter ausschließlich für das Nachfüllen und ggfs. Platzieren/Dekorieren von Ware sowie – bei Störfällen – die technische Betreuung des Stores benötigt. Shopper identifizieren sich bereits beim Betreten des Ladens. Die Türen lassen sich mittels heruntergeladener App (via QR-Code) oder per EC-/Kreditkarte öffnen. Weil selbstverständlich bargeldlos bezahlt wird, ist die Customer Journey (wer/wann/wie lange/was gekauft hat) theoretisch lückenlos und transparent dokumentierbar. Ob diese Vorteile ein Invest in die Entwicklung und das Betreiben von selbstständig wirtschaftenden Minimärkten rechtfertigen, dürfte sich danach richten, wie stark die jeweiligen Unternehmenslenker an künftige Akzeptanz und Kundenfrequenz für dieses Vertriebskonzept glauben. Dass die marktbeherrschenden Lebensmittelhändler derzeit entsprechende Konzepte pilotieren, spricht dafür, dass autonome(re) Stores als grundsätzlich denkbare Ergänzung im Distributionsportfolio eingestuft werden.

Sind wir also auf dem Weg in die einkaufsautonome Gesellschaft? Werden die Shopper im Jahr 2030 entweder per Mausklick online oder im einem volldigitalisierten Outlet analog shoppen. Oder wird die persönliche Note, die individuelle Beratung auf der Verkaufs- bzw. Erlebnisfläche sogar an Bedeutung gewinnen?

Im Moment lautet die Antwort auf diese Frage eindeutig: „Jein“!

Ja – denn sicher werden Güter des täglichen Bedarfs, die routiniert nachgekauft werden (im Marketing auch als „Commodities“ bezeichnet) zunehmend schnell, convenient und per Mausklick erworben. Grundsätzlich sind Shopper sehr häufig daran interessiert, ohne großen Aufwand und zeitliches Invest ihre Kühl- und Vorratsschränke zu füllen.

Nein – denn bei der Suche nach frischen Impulsen und bei der Orientierung in Kategorien, die selten gekauft werden, funktioniert automatisiertes, autonomes Einkaufen nicht. Aller Internet-Services zum Trotz; manchmal wollen sich Shopper mit allen Sinnen inspirieren und von gut geschultem Fachpersonal beraten lassen.

Zur Bestätigung des letzten Punkts dienen zwei aktuelle Praxisbeispiele; eines aus dem Bereich Premium-Konsumgüter, ein weiteres aus der Kategorie der technischen Gebrauchsgüter. Beide lassen den Schluss zu, dass der wesentlichste Faktor für die Kaufentscheidung am Point-of-Sale die fachkundige persönliche Beratung ist.

Im ersten Fall war die Mission, eine technische Dienstleistung am POS erlebbar zu machen. Die Marke, die dahinter steht, sollte für Shopper emotional spürbarer werden. Daraus resultierte die Aufgabe, aus vielen kommunikativen Einzelimpulsen ein effektives Touchpoint-Management entstehen zu lassen. Im Rahmen dieses spannenden Projekts lernten wir, dass die komplette Orchestrierung der Maßnahmen von Pre-Sales via Social-Media über den POS bis zu After-Sales mit Loyalitätsangeboten nur funktioniert, wenn das Personal im Fachhandel stimmig integriert wird. Die Bildung von Kaufpräferenzen durch die fachlich fundierte Empfehlung der POS-Berater ist mit kaum einem anderen POS-Marketing-Instrument adäquat zu leisten.

Beim zweiten Case analysierten wir die POS-Präsenz einer Premium-Konsumgüter-Marke. Trotz hoher Affinität zur Brand, trotz vielfältiger emotionaler Instore-Kommunikation … der relevanteste Faktor für die Entstehung von Kaufpräferenzen beim Shopper waren die Fachberater in den Outlets.

Fazit:
Händler und Unternehmen sind gut beraten, wenn sie zweigleisig fahren. Natürlich gilt es, dort sehr stark präsent zu sein, wo Kunden im „Autopilot-Modus“ einkaufen. Die analogen (und digitalen) Verkaufsflächen also mittels professionellem POS-Marketing so zu bespielen, dass Shopper auf ihrem Routine-Einkaufsweg gestoppt, begeistert und zum Zugreifen aktiviert werden. Hier liegt der Fokus auf schneller, klarer und überzeugender Kommunikation.
Bei selektiven Angeboten, im Falle von Premiumsortimenten (denken wir im Food-Bereich an u. a. Fleisch, Käse, Wein, Spirituosen) oder für erklärungsbedürftige Ver- und Gebrauchsgüter lässt sich hingegen durch den Einsatz von gut geschultem Personal auf der Fläche sowie an Informations- und Frischetheken wertvolles Potenzial für mehr Absatzvolumen realisieren.