Der Online-Kauf von Lebensmitteln – echte Alternative oder kurzer Hype?

E-Commerce für Lebensmittel im Medienecho

Wir wissen es doch zu gut: für uns als Vermarkter, als Marketingfachleute, als Werbeexperten gehören die auf den Punkt gebrachte Kommunikation, das griffige Motto,  die einprägsame Headline und die schlüssige, emotional packende Story zum Rüstzeug für gelungene Kampagnen. Und auch im Werkzeugkoffer journalistischer Tools liegen die packende Überschrift und schnell begreifbare Geschichten immer parat. In der Tat hilft all das bei der Gewinnung von Kunden, Marktanteilen und neugierigen Lesern und damit – im Falle der Medien – bei der Erreichung von Auflage-, Klick- und Einschaltquoten-Zielen.

Bleiben wir bei der „vierten Gewalt im Staat“, bleiben wir bei den Medien. Die Herausforderung für die Journalisten von heute – in einer Zeit nie versiegender News, Links, Posts etc. – ist nicht die Informationsbeschaffung. Schon längst nicht mehr. Täglich neu stehen das gesamte globale Wissen, die Meldungen aus aller Welt und die aktuellsten „Breaking News“ per Mausklick bereit. Sichten, filtern, bewerten, einordnen und priorisieren sind also die Gebote der Stunde für die schreibende, sprechende und filmende Zunft.

Betrifft natürlich auch die Fachjournalisten.

Betrifft auch alle, die für die von uns genutzten Magazine, Zeitschriften und deren tägliche Online-News schreiben, von A bis Z, von der Absatzwirtschaft bis zur Zeitung für Lebensmittel (LZ).

Nun haben die Journalisten viel zu tun und gerade in diesen bewegten Zeiten der Corona-Pandemie prasseln aktuelle Meldungen, Meinungen, Expertenaussagen sowie Informationen von Verbänden, Parteien, Interessensvertretungen und der Regierung in nie gekannter Geschwindigkeit und Intensität auf Medienschaffende ein. Dazu gehören auch Ergebnisse von Befragungen, Beobachtungen und Messungen, also Marktforschungs-Resultate.

Sind wir also beim heutigen Thema

Natürlich ist es in der oben geschilderten Gemengelage verführerisch, Pressemeldungen von Studienmachern zu nutzen und deren Ergebnis-Interpretation 1:1 zu übernehmen. Ist allerdings auch höchst problematisch. Und kann – im Falle der unreflektierten Verbreitung von Zahlen aus Expertenmund – bei viraler Multiplikation sogar sehr gefährlich sein. Doch wollen wir uns nicht mit der Aussagekraft von Reproduktionszahlen und der Unterscheidung von Prozenten und Prozentsätzen beschäftigen. Das Problem ist erkannt  und erste Hochschulen begegnen ihm löblicher Weise mit ersten Angeboten dazu; wie z. B. die Uni in Mainz. Nein, uns geht es um das Thema E-Commerce im Lebensmittelhandel

Mafo in den Medien – Vorsicht vor vorschnellen Schlüssen

Um zu veranschaulichen was ich meine, hier ein aktuelles Beispiel.

Da gab es im April eine Studie der Unternehmensberatung Accenture zum sich verändernden Konsumentenverhalten in der Corona-Pandemie. Befragt wurden dafür 3074 Konsumenten in 15 Ländern. Höchst unterschiedliche Kulturkreise übrigens, von Japan bis USA, von China bis Europa und Südamerika. Gemittelt ergibt sich für den deutschen Markt also eine Stichprobe von 205 Befragten. Freilich nicht repräsentativ, aber darum geht es nicht. Es geht um die mediale Verwertung der Ergebnisse. Für unser heutiges Thema greifen wir folgendes heraus:

One in five consumers who ordered their last groceries online did so for the first time—but for consumers aged 56 years and above, this was one in three. While new users have been flocking online, many existing customers have struggled to get delivery slots.

Accenture, May 2020

Daraus machen unsere Fachmedien folgendes, schreibt z. B: die „w&v“:

Was bleibt beim Leser hängen?
„…Anstieg … Online-Käufe“

Was lernt der schnelle Leser also? Dass Online einkaufen im Trend ist. Dass dieser Bereich wächst. Dass Online-Käufe stark ansteigen. Im Text unter dieser Headline wird es genauer: Dass „… die Pandemie Menschen verstärkt dazu veranlasst hat, Lebensmittel online zu kaufen“. Müssen wir uns als kritische Leser doch eigentlich fragen: „Wo“? Für welchen Markt gilt das? Wissen wir nicht, das ist ein Mittelwert über 15 Länder. Was aber eigentlich in der Studie steht, ist, dass jeder Fünfte von denen, die Lebensmittel online kauften (wie viele das sind, geht aus der Studie nicht hervor!!), ein online Erstkäufer ist. Und weiter im Text wird es allgemein, dass ein Anstieg von 5 Prozentpunkten auf 37 Prozent künftiger Online-Käufer für „Produkte und Dienstleistungen“ (nicht: für Lebensmittel!) erwartet wird.

Es geht aus der Studie also nicht hervor, für welchen Markt der Anteil des Lebensmittelkaufs im Internet wie stark oder ob überhaupt ansteigt bzw. ansteigen wird.

Empfehlung also: lesen Sie solche Studien selbst, bevor sie aus Pressemeldungen und -artikeln falsche Schlüsse ziehen. Oder natürlich diesen Blog ;-).

Dass sich der Absatz von Lebensmitteln während der Corona-Krise erhöht hat, mag ja sein. Ob es sich dabei allerdings um einen nachhaltigen Trend handelt, ist momentan völlig offen. Der jährliche Kundenmonitor der ServiceBarometer AG zeigte auf Basis von 25.000 Verbraucherinterviews in Deutschland(!) für den April 2020 einen nur sehr leichten Anstieg des Nutzeranteils von Food-Lieferdiensten. Die Kundenzufriedenheit mit den Lieferdiensten ist insgesamt sogar rückläufig, insbesondere was Schnelligkeit und Lieferzeiten betrifft.  

Möchte ich noch „Liefermöglichkeit“ als Kritikpunkt ergänzen, der aus meiner eigenen Erfahrung stammt von Ende April, Anfang Mai. Speziallieferer wie z. B. „Picnic“ decken meinen Wohnort – eine Großstadt im Rhein-Main-Gebiet – nicht ab. Beim Rewe-Online-Lieferdienst habe ich mit dem Vorlauf von 10 Tagen mehrmals vergeblich versucht, ein offenes Buchungsfenster zu finden. Das war es leider schon mit der Möglichkeit, meine Lebensmittel online zu ordern.

Fazit:
Hüten Sie sich davor, Marktforschungsergebnisse durch schnelles Lesen falsch einzuordnen. Versuchen Sie, Einblick in die Berichtsbände der Studien und idealerweise die Fragen zu erhalten. Oder finden Sie jemand, der das für Sie tut. Im Sektor der online Lieferdienste für Lebensmittel ist Vorsicht angebracht, ob und wann sich dieses Modell als relevanter Vermarktungskanal für Lebensmittel entwickelt. In Corona-Zeiten wurde der Food-Onlinekauf häufig zum ersten Mal ausprobiert. Manche Shopper bleiben sicher dabei, ihn zumindest als eine mögliche Option zu nutzen. Ein großer Teil der Kunden wurde durch geschlossene Lieferzeitfenster, unzuverlässige Lieferung oder fehlendes Angebot frustriert.