Nachhaltigkeit – mehrheitlich noch ein Lippenbekenntnis?

Vor kurzem lernten wir Nachhaltigkeit als einen der Top-Treiber fürs Geschäft mit FMCG in den kommenden Jahren kennen. Beschäftigten uns mit den unterschiedlichen Facetten dieses gern und häufig genutzten Begriffs wie u. a. Veganismus, Tierwohl oder Bio-Ackerbau und -Viehzucht.

Eine neue Studie vom Hamburger Marktforschungsunternehmen Splendid Research zeigt, dass Nachhaltigkeit für die Shopper grundsätzlich eine wichtige Rolle spielt. Im Rahmen der Erhebung wurden 1.440 Verbraucher zu aktuellen Einstellungen, ihrem Ernährungs- und Einkaufsverhalten sowie Markenkonsum und -bewertungen befragt.

Beeindruckendes Ergebnis: Fast zwei Drittel der Deutschen finden nachhaltige Ernährung wichtig. Tatsächlich kauft jedoch mehr als die Hälfte ihr Fleisch „konventionell“ ein;  sprich: aus industrieller Massentierhaltung. Bei Milcherzeugnissen sind es sogar mehr als 60 Prozent, die weder zu Bio-Produkten, noch zu pflanzlichen Alternativen greifen.

Natürlich – immerhin rund ein Viertel der Shopper kauft ökologisch erzeugte Nahrung – das ist nicht wenig. Müsste angesichts der großen Bedeutung von nachhaltiger Ernährung (s. oben „… zwei Drittel …“) aber eigentlich mehr sein. Müsste … tja. Vor diesem Hintergrund fällt mir eine Marktforschungsstudie ein, die ich vor vielen Jahren im Rahmen meiner Tätigkeit als Brand Manager der Haarkosmetikindustrie verantwortete. Wir erhoben die Akzeptanz von aerosolfreiem Haarspray mit Pumpmechanismus im Vergleich zu herkömmlichen Aerosolsprays. Überwältigende Zustimmung für die umweltfreundliche Variante ohne (schädliche) Treibgase in der Mafo-Studie. Anwendungstests bestätigten dem damals noch relativ neuen Produkt zudem mindestens vergleichbare Duft-, Sprüh-, Festigungs- und Modellierungseigenschaften wie dem etablierten Druckluftspray. Ernüchterndes Ergebnis in der Praxis dann: homöopathische Verkaufszahlen vom hoffnungsvoll gelaunchten Stylingspray mit umweltschonender Technologie. Der entscheidende Pluspunkt vom Aerosol war die im täglichen Gebrauch bequemere Anwendung!

Was lernen wir aus Mafo und Praxisbeispiel?

Marktforschung ist wichtig. Marktforschung kann helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Man sollte sich allerdings nicht blindlings auf Testergebnisse verlassen – insbesondere, wenn die Resultate eigene Vorurteile bestätigen – und alleine auf dieser Basis strategische Entscheidungen fällen. Marketing- und Vertriebsentscheider dürfen also auch bei allem löblichen Bestreben, nachhaltig zu wirtschaften, die „Basics“, die Grundfunktionalität, den sauber herausgearbeiteten USP und damit die eigentlichen Gründe für den Kauf eines Produkts nicht aus den Augen verlieren. Nachhaltigkeit ist (den Shoppern) wichtig, allerdings sollte sie nicht als wettbewerbsüberlegenes Verkaufsargument sondern als – zunehmend wichtiger werdender – Hygienefaktor betrachtet werden, der von den Kunden als gegeben vorausgesetzt wird.

Die wichtigsten Ergebnisse der o. g. Studie hier auf einen Blick:

Nachhaltige Ernährung ist sehr relevant,
tatsächlich wird häufig konventionell eingekauft.
Eines der Ergebnisse der „Splendid Research“-Studie

Zum Thema „Bio-Boom im LEH“ findet sich eine ganz aktuelle Meldung aus der Fachpresse:

„Ökoware wird für Edeka zum Wachstumsmotor“

„Im ersten Halbjahr lag der Edeka-Anteil am Bio-Kuchen (ohne Fachhandel) laut GfK erstmals über 20 Prozent. Rewe und Aldi folgten demnach jeweils mit einem Abstand von etwa 8 Prozentpunkten. Der Bio-Umsatz wächst dort weiterhin zweistellig und doppelt so schnell wie das konventionelle Warengeschäft.“

LZ, 13.08.2021