Was, liebe Leser, macht eine gute Anzeige aus? „Gut“ wollen wir dabei verstehen als „wirksam“ im Sinne des Absenders. Und wirksam bedeutet, dass eine Werbebotschaft dazu beiträgt, eine beabsichtigte Handlung beim Empfänger zu bewirken. Mit B2B-Annoncen in analogen und digitalen Fachmedien sollen die empfangenden Absatzmittler (Händler) durch Werbemotive der Anbieter (Hersteller) unter anderem dazu aktiviert werden:
- Neuprodukte einzulisten und physisch breit zu distribuieren
- Randsortimente prominenter zu platzieren
- Promotions auf ihren Flächen umzusetzen und zu unterstützen
- Saisonware rechtzeitig zu bestellen
- Preisempfehlungen umzusetzen
Angenommen, Sie planen eine entsprechende Schaltung für einen der genannten Zwecke. Welches sind nun die wesentlichsten Eigenschaften, die Ihre Anzeige haben sollte, damit sie effektiv sein kann? Die folgenden Kriterien haben sich in Werbewirkungstests als entscheidend dafür erwiesen:
1. Zuordnung / Kontext
Die Schlüsselfrage: Gelingt es den Rezipienten unmittelbar (mit einem Blick, innerhalb von wenigen Sekunden), das Inserat zuzuordnen? Verstehen sie sofort in welchen thematischen Kategorie- und Marken-Kontext das Motiv gehört und um was es grundsätzlich geht? Wenn diese Fragen uneingeschränkt mit „ja“ beantwortet werden können, sind Sie bereits auf dem richtigen Gestaltungsweg.
2. Struktur / Aufbau
Ihre Agentur, Ihre Grafiker haben Ihnen Layout-Alternativen vorgelegt. Sollte Ihnen beim ersten Betrachten der Entwürfe spontan Ihr unaufgeräumter Keller oder die Krimskrams-Schublade im Küchenschrank in den Sinn kommen, muss optimiert werden. Das Motiv sollte also nicht voll, wirr, überladen, üppig oder verschnörkelt sein. Im Gegenteil, eine Werbeanzeige ist dann professionell gelayoutet, wenn sie strukturiert, gut gegliedert und übersichtlich ist – wir finden also eine klar erkennbare Kommunikationshierarchie!
3. Verständlichkeit / Klartext
Jetzt geht es um die Kernbotschaft. Diese Message sollte – vgl. Punkt 2 – sofort erkennbar sein und unverzüglich beim Empfänger ankommen. Missverständnisse müssen tunlichst vermieden werden. Mutige Analogien, waghalsige Wortspielereien und sonstige kreative Kapriolen sind hierbei also sehr dünnes kommunikatives Eis. Das bedeutet nicht, dass die Kernbotschaft staubtrocken kredenzt werden muss, sie darf die Empfänger allerdings nicht auf eine falsche gedankliche Fährte bringen.
4. Ästhetik / Ausstrahlung
Geschäftskunden mögen sich – oberflächlich betrachtet – eher von harten Fakten, denn durch emotional ansprechende Bildwelten leiten lassen. Selbstverständlich läuft bei Business-Entscheidern während des Betrachtens von Anzeigen im Großhirn immer die Aufzeichnungsspur mit, die die Geschäftsrelevanz der Botschaften einordnet und bewertet. Unterbewusst fließen emotionale Elemente in diese Bewertung aber mit ein. Ohne diesen Zusammenhang hier neurowissenschaftlich zu vertiefen, können wir festhalten: Auch B2B-Zielgruppen sind für harmonische, positive, gut komponierte Bilder empfänglich und sprechen auf appetitlich dargereichte Kommunikationshappen besser an als auf fade Gestaltungskost.
5. Prägnanz / Kürze
Machen Sie den Selbsttest. Welche dieser beiden Botschaften kommt bei Ihnen besser an:
„Ordern Sie unser innovatives tolles Neuprodukt in der angesagten Trendkategorie xy mit der klasse abc-Technologie für mehr Umsatz im Zeitraum 123“.
„Jetzt bestellen: Produkt XY! Neu ab 123! Bieten Sie Ihren Kunden die innovative abc-Technologie!“
Bedeutet: Schreiben Sie kurze Sätze und prägnante Texte! Bauen Sie keine Schachtelkonstruktionen! Verzichten Sie auf Schablonen- Mode- oder Füllwörter!
6. Aktivierung / Call-to-Action
Mit einer Aufforderung, aktiv zu werden, schließen Sie ein wirksames Inserat ab. Dieser Appell verstärkt die Kernbotschaft, idealerweise mit einem charmanten, humorvollen oder zumindest neutralen – in jedem Fall aber unaufdringlichen – Imperativ. Beispiele: „Jetzt … ordern!“, Profitieren Sie von …!“, „Denken Sie an …!“ usw. Das ist weniger als marktschreierischer Aufruf ohne inhaltliche Argumentation zu verstehen, sondern als Wirkungsverstärkung, als Orientierung für den Empfänger, worauf es dem Absender beim Inserat letztlich ankommt.
7. Relevanz / Fakten
Je nach Anlass und Inhalt der Anzeige kann bzw. muss die Kernbotschaft durch relevante(!) Eckdaten untermauert und damit verstärkt werden. Geht es um ein Neuprodukt, interessiert die lesenden Handelsentscheider z. B. ganz sicher, ab wann sie es erhalten können und mit welchem Media-Mix es wie stark unterstützt werden soll. Das sind spannende Informationen für den Empfänger. Allerdings sollten sich die Absender bei den „Facts & Figures“ nicht in der „Inside-out-Falle“ verheddern. Zu viele Informationen über einzelne Produktmerkmale, sehr detaillierte Beschreibungen von Promotion-Mechaniken oder endlose Prosa übers Unternehmen reduzieren die Wirkung der Anzeige erheblich. Es gilt also: so viel wie nötig und so wenig wie möglich.
Verwenden wir nun die folgenden Anzeigenmotive als Anschauungsmaterial und bewerten sie nach diesen Kriterien.
Wie es gelingen kann, auf einer halben Seite nahezu alle Erfolgsbedingungen zu erfüllen, zeigt uns die Radeberger Gruppe mit dem Inserat für „Oberdorfer Helles“ in der Lebensmittel Zeitung. Beim ersten Blick wird klar, um was es hier geht, dafür sorgen die weiß-blaue-Farbgebung und die groß abgebildeten Produkte (ca. 30% Motivanteil). Die Anzeige ist sehr gut strukturiert und wirkt dadurch harmonisch. Eindeutige Texte transportieren die Kernbotschaft unmissverständlich; kurze ergänzende, gut lesbare Sätze verstärken sie noch. Die zusätzlichen Fakten zum neuen Gebinde sind für die lesenden Händler relevant und mit der Aufforderung „Jetzt bestellen!“ und dem „NEU“-Hinweis enthält die Annonce weitere aktivierungsstarke Elemente. Was fehlt? Nun, bebilderte Stimmungsverstärker finden wir hier nicht. Keine emotionalen „Slice-of-Life“-Ausschnitte, keine gestylten Models, keine überlebensgroßen Produktmotive. Das alles braucht dieses Inserat auch nicht, um wirksam zu arbeiten, die Gefahr der Überfrachtung dieser halben Anzeigenseite wäre zu groß.
Apropos Überfrachtung. Dazu blicken wir auf die folgenden 1/1-Anzeigen von der Molkerei Rücker, Henkel Beauty Care und der Sektkellerei Peter Mertens.
Bei allen drei Annoncen machen wir einen Haken an das Kriterium „Kontext“, denn unmittelbar können wir die Motive den Kategorien Haarpflege, Käse und Sekt zuordnen. Doch halt, beim Deinhard geht es gar nicht um Sekt, sondern um Wein. Bemerken aufmerksame Betrachter allerdings erst auf den zweiten (dritten, vierten?) Blick, hier müssen wir also erste Abstriche bei der schnellen Zuordnung machen. Doch der Reihe nach.
Alle drei Annoncen bemühen sich um einen strukturierten Aufbau. Das Schema ist auch jeweils gut erkennbar, das Anliegen der Gestalter – im oberen Teil die Hauptbotschaft, unten ergänzende Informationen – wird deutlich. Kommen wir zum dritten Kriterium, finden wir in diesen Anzeigen „Klartext“? Ja und nein, die Auswertung ergibt ein gemischtes Bild. Können wir die Frage für Gliss Kur von Henkel noch uneingeschränkt bejahen, müssen wir die Kernbotschaften in den Inseraten für Deinhard und den Käse von Rücker erst suchen. Zwar übertitelt Deinhard mit einem aufmerksamkeitsstarken NEU-Störer, erklärt dann aber nicht sofort, was es damit auf sich hat. Dass die Neuheit ein Wein von alten Reben ist, erfahren die Handelsentscheider erst, nachdem sie entweder die Flaschenetiketten studiert oder das Kleingedruckte im unteren Anzeigenteil gelesen haben. Beim Grill- und Pfannenkäse aus „Küstenbauernmilch“ wird nicht so recht klar, worin die zentrale Aussage besteht: Geht es um neue Produkte, die gelistet werden sollen? Gibt es die Artikel schon länger und die Anzeige dient als Aufforderung an Händler, die bisher noch nicht eingelistet haben? Soll der hohe Proteingehalt als Kernaussage dienen? Die Kommunikationshierarchie ist hier also unklar, was die Wirkung der Anzeige signifikant mindert. Ebenso abträglich ist einer hohen Effektivität die Vielfalt an Gestaltungsmotiven; die drei Produkt-Heroen gehen im hübsch arrangierten Moodbild nahezu unter. Zu viele verschiedene Gestaltungselemente sorgen auch in den anderen beiden Motiven für Unruhe und lassen den Blick der Betrachter dadurch unstet wandern. Mit farblich abgehobenen Kästen, Piktogrammen und Textfeldern versuchen die Gestalter, Ordnung zu schaffen; das gelingt aufgrund der Menge an unterschiedlichen Botschaften allerdings nur bedingt.
Besser nutzt den üppigen Raum eines 1/1 Inserats die Alpro GmbH mit dem Motiv für ihre pflanzlichen Mousse-Produkte.
Trotz kleinem textlichen Augenzwinkern verstehen wir die gut lesbare Überschrift sofort. Dann folgen eine große Abbildung der Artikel, ein harter Fakt in einem(1) Satz verpackt und abschließend der Claim als Abbinder. Dazu haben die Gestalter einen farblich hervorgehobenen „Call-to-Action“ eingesetzt – fertig. So einfach kann eine gute Anzeige sein. Doch Obacht, auch hier ist es, wie in vielen anderen Lebensbereichen: Was einfach und leicht aussieht, ist anstrengend. Ist harte Arbeit. Ist Ringen um die treffendsten Formulierungen. Reduzieren, weglassen, verzichten und in aller Kürze das Wichtigste prägnant auf den Punkt bringen – das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Treffend ausgedrückt in dem abschließenden Zitat, das unterschiedlichen Autoren zugesprochen wird, unter anderem Blaise Pascal, dem französischen Mathematiker, Physiker und Literat:
„Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen einen langen Brief schreibe, für einen kurzen habe ich keine Zeit.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen erfolgreiches Gestalten und Schalten!
Abschließend der obligatorische Hinweis, dass die Bewertung von zufällig ausgewählten Anzeigenmotiven alleine dem Ziel dient, Hinweise darauf zu geben, wie B2B-Kommunikation funktioniert – oder eben auch nicht. Basis für diese Einordnungen sind zahlreiche Werbewirkungs-Studien und die als Konsens erachteten, allgemein gültigen Regeln für effektive Gestaltung. Nur zu gut weiß ich als Praktiker von den Zwängen und (scheinbar) unabänderlichen Rahmenbedingungen bei der Entwicklung von Kommunikationserzeugnissen, die einem optimalen Ergebnis nicht selten im Wege stehen.