Zwischen Mangel und zu-viel-des-Guten – die Anzeigen der Woche
Dem einen fehlt etwas, der andere hat zu viel davon. Das kennen Sie aus dem richtigen Leben. Gibt es aber auch in der Fach-Reklame, wie die werblichen Beispiele von B2B-Kampagnen in unserer lockeren Fortsetzungsreihe zur Handelskommunikation heute beweisen.
Miree: Locker, neu und nun?
Auf den ersten Blick eine sehr gelungene Anzeige des Allgäuer Quark- und Frischkäsespezialisten. Gut lesbare, erklärende und zur Marke (“locker“) passende Überschrift, noch 3 kurze Textblöcke, viel neues Produkt und abschließend das Markenlogo. Doch halt, hier fehlt etwas? In der Tat, Argumente für den Handel und Datum des Relaunchs finden wir nicht im Motiv. Wieso fehlt die Handelsargumentation, fragen Sie. Immerhin steht doch das Wort „neu“ in der Headline und es folgen drei Informationen zum Relaunch. Stimmt, etwas Neues ist für den Handel grundsätzlich interessant. Die deskriptiven Angaben zur Sortimentsüberarbeitung sind jedoch Zeugen der klassischen „Inside-out-Thinking“-Falle, in die viele Marketing-Manager immer wieder tappen (also das Denken vom eigenen Angebot nach außen, nicht vom Markt, der Zielgruppe, nach innen gedacht). Denn: eine Vorteilsargumentation mit Überzeugungskraft für den Händler ist diese Aufzählung von Markenattributen nicht. Mit der Überlegung, was dieser Relaunch dem Handel an Mehrwert bringt und einem strikt darauf ausgerichteten Text, hätte die Anzeige deutlich treffender formuliert werden können. Beispiel: „Bessere Orientierung für Ihre Shopper am Kühlregal durch ein neues Verpackungskonzept“ usw. Und der Start des Hineinverkaufs fehlt, wie oben erwähnt, ebenfalls. Schade, denn dies ist für den Handel das wichtigste Kriterium bei der Einführung (und beim Relaunch) von Produkten und bei Promotions; s. hier:
Dass es besser – und genau so einfach – geht, zeigt Karwendel mit einer kleinen Anzeige für sein pflanzliches Produkt NOA auf einer knappen Drittelseite im „LZ Journal“:
Kann sonst keiner – zu viel Extra bei Golden Toast
„So viel extra kann sonst keiner“ hat der Textdichter für Golden Toast erdacht und der Kunstdirektor hat diese Behauptung der Brotbäcker aus dem Hause Lieken sogleich versal zu Gestaltung gebracht. Zieht dieses Konzept auch für das Layout der kompletten 1/1-Anzeige durch und hat darin so viele Extra-Elemente verbaut, dass des Betrachters Blick unweigerlich nervös von oben nach unten, von vorn nach hinten und von rechts nach links flattert. Haben wir also Logo oben rechts, darunter einen Textblock mit vielen EXTRAS in Schreibschrift und VERSALIEN, umrahmt vom Motiv eines liebevoll gedeckten Frühstückstischs mit unterschiedlichen Bildelementen auf mehreren Ebenen und Fenster im Hintergrund. Die üppig beschriftete Produktpackung mit „NEU“-Hinweis und Toastbrot-Foto, hochkant auf dem Tisch platziert und zum Abschluss unten links noch das Launch-Datum im goldenen Kreis:
POS-HOTS-Beurteilung: Insbesondere die hervorgehobene Information zum Einführungszeitraum ist positiv an dieser Anzeige. Ebenso die deutliche Kommunikation, dass das neue Produkt den Protein-Trend aufgreift sowie der grundsätzliche Aufbau des Layouts. Dessen klare Linie verschwimmt leider durch die Vielzahl einzelner Bild- und Textelemente. Zudem wird für den Händler als Zielgruppe nicht klar, warum er das Brot listen soll, falls die Produktauslobung „25% Protein“ inklusive erläuternder Texthinweise dafür nicht ausreicht. Hier hätte ein erklärender Satz, warum Erzeugnisse mit hohem Eiweißgehalt momentan laufen wie – das Wortspiel sei gestattet – geschnitten Weißbrot, sicher geholfen.
Fazit: statt vieler Einzelelemente und dadurch einer überladenen Anmutung hätte der Anzeige eine klarere Vorteilsargumentation für den Handel sowie eine Reduzierung der Gestaltungselemente zum Vorteil gereicht.
Echter Tee … mit … nix … ohne – echt jetzt?
Die eingangs beschriebene Falle des „Inside-out-Thinking“ schnappt auch bei der Anzeige für die „JUICE BAR“ der Firma Rauch zu. Die dort abgebildeten, toll fotografierten Tee-Flaschen werden von den zur jeweiligen Geschmacksrichtung passenden Aromen bildlich begleitet. Neben Produkten und Zutaten hat der Layouter noch reichlich Text untergebracht, diesen gut gemischt in VERSALIEN und Groß-/Kleinschreibung. Machen Sie doch einmal den Selbsttest; wie viel bleibt vom Inhalt dieses Motivs nach der üblichen Anzeigen-Betrachtungsdauer – also ca. 2-3 Sekunden – bei Ihnen „hängen“?
Meine Vermutung: die Überschrift, die Produktabbildung und den Hinweis „ohne Zuckerzusatz“ haben Sie erfasst. Für mehr hat‘s nicht gereicht. In die Texte konnten Sie schon nicht mehr einsteigen. Ob die Headline und die Produktabbildungen es schaffen, Händler zum Lesen der Textblöcke bringen, sei dahin gestellt. Denn: wie oben erwähnt, handelt es sich überwiegend um beschreibende Inhalte zum (neuen?) Sortiment. Echte Benefits für den Handelsentscheider kommen erst ganz weit unten im kleiner Gedruckten. Was das schnelle Erfassen der Anzeige zusätzlich erschwert: der Texter hat viele verschiedene Produktattribute untergebracht, die der Betrachter verstehen muss. Um es plastisch zu machen, hier die vollständige Liste:
– „Echter Tee“ -„Mit Frucht“ -„Mit 25% Frucht“ -„Ohne Zucker“ -„Ohne Süßungsmittel“ -„Ohne Aromen“ -„Ohne Farb- und Konservierungsstoffe“ -„Echt nachhaltig“ -„Für einkommensstarke Haushalte“ -„Für einen gesundheitsbewussten Lifestyle“ -„100% rePET“.
In Summe also mehr als 10 unterschiedliche Informationen, hinzu kommen noch die Beschriftungen der groß abgebildeten Packungen – anspruchsvoll für eilige Leser im Handel. Stilistisch, sicher voll beabsichtigt, werden die o. g. Auslobungen mit einer überbordenden Vielzahl von unbestimmten Zahlenwörtern garniert („Nix“, „Ohne“, „Mehr“). Diese Kombination führt das Werbeerzeugnis unweigerlich die oben genannte inside-out-Falle
Unheimlich gut gelungen – Monster Energy
Zum Abschluss noch eine Anzeige, wie sie sein sollte, um vom Betrachter schnell verstanden zu werden:
Die Headline erklärt sofort verständlich, um was es geht. Die Produkte sind groß abgebildet und im unteren Bereich folgen noch – in stilisierten Tassen gestalterisch gut integriert – 3 knappe Argumente plus Platzierungsempfehlung für den Handel; fast perfekt. Nur fast? Ja, denn – ebenso wie bei Miree fehlt die Info, ab wann das neue Gebräu bestellbar sein wird.
Abschließend der übliche Hinweis, dass die Kommentierung der – zufällig ausgewählten – Kreativerzeugnisse mit fachlicher Anerkennung und gebührendem Respekt den jeweils Verantwortlichen gegenüber erfolgt. Jede Kritik ist, wie immer, sachlich formuliert und basiert auf jahrzehntelanger Erfahrung sowie unabhängigen Testreihen und Feldstudien mit Händlern und Shoppern. Dem Autor sind zudem die Sachzwänge und die in der Praxis oftmals nicht idealen Rahmenbedingungen (Timings, Entscheider-Strukturen usw.) bei der Entwicklung und Umsetzung von Handelskommunikation bestens vertraut.