Fall der Woche: ALDI. Wenn das Original die Nachahmer kopiert

Aldi – ein Original auf der Suche nach Identität

Sie kennen das, es gibt Momente, die bescheren uns einen Aha-Effekt. „Eye opening“, wie es so schön englischsprachig heißt. Anders ausgedrückt, in diesen Augen(öffnenden)blicken rückt ein Puzzleteil an die richtige Stelle, findet sich das fehlende Mosaiksteinchen und komplettiert damit ein nahezu fertiges Bild. So ging es mir am Wochenende, als ich diese Anzeige sah:

Schlag nach: was war der Aldi Preis nochmal genau?
Anzeige in der LZ im Februar 2020

Warum mich diese Anzeige erstaunt, ja erschreckt aber zugleich auch bestätigt hat? Nun, der Absender dieser Anzeige ist Aldi, wie unschwer zu erkennen ist. Und was tut unser deutscher Vorzeige-Discounter da? Er wirbt damit, beste Qualität zu besten Preisen anzubieten. Ja und, sagen Sie, das tun doch alle anderen Händler auch? Ja eben! Die komplette Riege von Edeka bis Rewe, von Kaufland bis Real behauptet, ein unschlagbares (das beste) Preis-/Leistungsverhältnis zu bieten. Kern der Anzeige ist der „Original ALDI Preis“. Diese Kampagne zieht sich auch durch andere Werbemittel und -medien von Aldi. Und mit genau dieser Kampagne macht sich der – ehemals unangefochtene und nun selbsternannte – Preisprimus vergleichbar. Macht sich vergleichbar im Bereich der Preispolitik, obwohl man sich mit dieser Kampagne doch eher vom Wettbewerb abheben möchte. Und verliert damit an Souveränität in einer Disziplin, in der sich Aldi jahrzehntelang in nicht erreichten Sphären bewegte – zumindest in der Wahrnehmung der Shopper. Ist damit nun endgültig im Wettbewerb aller anderen Flächenbetreiber im LEH angekommen. Denn: in den Disziplinen Produkt-, Standort- und Kommunikationspolitik hat der einstige Hard-Discounter mit zahlreichen Markenlistungen, Flächen-Upgrades und umfangreichen Werbe- und Promotionkampagnen längst LEH-typisches Normalmaß erreicht. Das, was die cleveren Smart Shopper ursprünglich an der Shopping-Tour bei Aldi schätzten, finden sie nur noch sehr eingeschränkt: Das puristische Einkaufen von Artikeln, die „eigentlich ja (qualitativ so gut wie) Markenartikel“ waren und dies zu unschlagbar günstigen Preisen in einer kargen Lagerhallenatmosphäre. Diese Alleinstellung hat Aldi sukzessive aufgegeben und seine ureigene Positionierung damit verlassen. Dies ganz sicher aus guten Gründen, allerdings mit erheblichem Risiko fürs Geschäftsmodell.

Preistransparenz schafft Handlungsdruck

Preispolitisch hat sich Aldi innerhalb weniger Jahre durch die Anreicherung seines Sortiments mit Markenartikeln voll in den 1:1.-Preiswettbewerb gestellt und damit stark unter Druck gesetzt. Und dies in zwei Stufen:
1. Richtung Wettbewerb: die Preise der Markenartikel sind für die Wettbewerber ein beliebtes, wenn nicht das stärkste Werkzeug in der absatzorientierten Kundenkommunikation – hier steht Aldi also permanent im Kreuzfeuer aus noch niedrigeren Aktionspreisen der Mitbewerber und ist gezwungen, permanent zu justieren.
2. Richtung Shopper: durch die Preisvergleichbarkeit bei Markenartikeln besteht das Risiko, dass das Vertrauen darauf, bei Aldi immer den günstigsten Preis zu bekommen, sinkt und das Aldi Image dadurch beschädigt wird.

Beim Preis (noch?) vorn

In Shopperstudien, wie z. B. der „SCAN 2.0“ lässt sich erkennen, dass die allgemein günstigen Preise bei Aldi, insbesondere bei den preissensiblen Shoppern, immer noch ein sehr wesentlicher Grund für den Einkauf dort sind. „Sonderangebote“ waren vor gut einem Jahr, als die Studie entstand, noch kein wesentlicher Treiber für die Shoppingtour beim Ur-Discounter. Inwieweit sich dieses Bild mittlerweile verändert hat, wäre ein spannender Gegenstand für eine Neuauflage der Untersuchung.

Schnäppchen-Shopper kaufen am liebsten bei Lidl und Aldi ein …
… folgerichtig locken bei den Discountern die „allgemein günstigen Preise“.

Fazit:
Aldis Konzept des Upgrading bei Flächen, Sortiment und Kommunikationsinhalten in Verbund mit der Aktionspreis-Strategie, insbesondere bei Markenartikeln, rückt den Discounter näher an die Positionierung der Supermärkte heran. Dort spielt er allerdings auf Feldern, auf denen sich die Platzhirsche wie Rewe und Edeka wohler fühlen und u. a. mit emotionalen Food-Welten und standortbezogenen Services weit voraus sind. Daran, dass Aldi insbesondere den flexiblen und schnell agierenden Kaufleuten ihr Terrain streitig machen kann, darf gezweifelt werden.