Landkarte E-Commerce: weiße Flecken und Servicewüsten

Die Entdeckung der Welt war in der Menschheitsgeschichte über Jahrtausende hinweg ein äußerst spannendes Unternehmen. Und mit jedem neu hinzugekommenen Kontinent, jedem zusätzlich gefundenen Land wurde das Bild auf unseren Planenten reicher und vollständiger. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit die letzten weißen Flecken auf dem Globus verschwanden. Heute weiß jedes Kind dank Smartphone und Services wie Google Maps & Co. nicht nur, wo genau z. B. San Diego liegt, sondern auch wie das kleine italienische Restaurant in der Ocean Lane heißt. Die größte Weltkarte des Mittelalters war die Ebstorfer Weltkarte („mappa mundi“), in der auf ca. dreieinhalb Metern alle zu jener Zeit bekannten Gebiete eingezeichnet waren. Jerusalem als Zentrum und Europa links unten, vertreten durch damals bedeutende Städte wie Soest, Kulmbach, Nienburg oder Rom.

Dieses Bild kommt mir in den Sinn, blicke ich auf die aktuellen Angebote für Online-Lebensmittel-Lieferservices. Besteht die Deutschlandkarte für das digitale Shopping doch aus vielen „weißen Fleckchen“ und selbst dort, wo es von Zustelldiensten erobertes Terrain gibt, finden sich karge Servicewüsten.

Warum genau heute dieses Thema? Nun, pünktlich zum verschärften Lockdown kündigte unser aller Lieblingsversender Amazon gestern per Newsticker an, die Liefergebühr seines „Fresh“-Dienstes für Prime Kunden ab einem Bestellwert von 80,- € kostenfrei anzubieten. Und richtig, auf der Website finden wir heute bereits das aktualisierte Angebot:

Das klingt spannend. Allerdings nur für knapp 10% der deutschen Bevölkerung, denn der E-Commerce-Primus bietet seine Lebensmittel-Lieferung aktuell nur in Berlin, Potsdam, Hamburg und München an. Online-Shopper im restlichen Bundesgebiet orientieren sich also an alternativen Angeboten von Rewe, Edeka, Picnic etc.

Doch wie ist es der Verfügbarkeit dieser Services nun mitten im zweiten Lockdown bestellt? Haben die Händler ihre Hausaufgaben gemacht und die Zeit zwischen den Beschränkungs-Peaks genutzt, um sich auf die gestiegene Nachfrage vorzubereiten? Ein Praxistest zeigt: schwierig!

Bei Rewe Online weist eine kleine Überschriftzeile auf mögliche Terminengpässe und Verfügbarkeitslimitierungen hin:

Bitte prüfe aufgrund des hohen Bestellaufkommens zuerst die Liefertermine. Außerdem sind einige Artikel vorübergehend in der Bestellmenge eingeschränkt. Wir bitten um dein Verständnis.


In der Tat sind in meinem Liefergebiet bereits alle Bestellfenster bis zum Jahresende ausgebucht:

Bei Edeka24 qualifizieren sich für eine Online-Bestellung überhaupt erst solche Kunden, die bereits registriert waren, Neukunden können den E-Commerce-Kanal der Genossen also nicht nutzen.

Und Picnic, der nach eigenen Angaben dynamisch wachsende Online-Supermarkt?

tja …

Anscheinend gehörte der Ausbau des Online-Geschäfts nicht zu den vordringlichsten Aufgaben der Retailer im vergangenen halben Jahr; zumindest hat sich aus Sicht des Shoppers nicht viel verbessert, der Status Quo für den Kunden im Rhein-Main-Gebiet z. B. ist unverändert im Vergleich zum März/April dieses Jahres.

Zwar ist das Segment Lebensmittel bei Online Umsätzen im Jahresvergleich vs. 2019 lt. stark gewachsen, dies entnehmen wir einer aktuellen Studie vom bevh (Erhebung durch die BEYONDATA GmbH) mit 40.000 Probanden. Das Warensegment Lebensmittel erreichte dabei mit 633 Mio. EUR inkl. USt im 3. Quartal 2020 ein Plus um mehr als die Hälfte im Vorjahresvergleich (+52,9 Prozent ggü. 414 Mio. Euro inkl USt im 3. Quartal 2019). Es ist allerdings anzunehmen, dass ein nennenswertes Potenzial an E-Commerce Umsätzen verschenkt wird – insbesondere von den etablierten LEH-Betreibern! Denn sie wären für die Shopper die erste Adresse für den Online-Kauf von Lebensmitteln, wie wir aus dem brandneuen POS-Marketing-Report 2021 erfahren:

Erscheint im Januar 2021:
der POS-Marketing-Report 2021.


Es bleibt also spannend, welche(r) Anbieter in Sachen E-Commerce für Lebensmittel das Rennen machen werden (wird) – im Moment scheint der Wettbewerb völlig offen zu sein.