Mit nachhaltiger Zugkraft: der mobile Rewe im Bahnhof

Heute also Wiesbaden, Hauptbahnhof, Gleis 5. Dort steht er, grasgrün und gelassen, geduldig wartend auf den Ansturm der Kunden. Der faire Supermarkt-Zug von Rewe, Fairtrade und der Deutschen Bahn macht auf seiner Fahrt durch Hessen Halt in unserer schönen Landeshauptstadt. Bereits diese Tatsache darf als kleine Sensation gelten, ist „das Nizza des Nordens“ doch seit dem Defekt bzw. der kürzlichen Sprengung der Salzbachtalbrücke vom nationalen Schienenverkehr nahezu abgeschnitten.

Umso besser kommt der fahrende Supermarkt an diesem Samstagmittag zwischen all den anderen zug- und menschenleeren Gleisen zur Geltung. Vom Bahnhofsvorplatz bis zum Bahnsteig führen ganz in Grün gehaltene Werbemittel zum „einzigartigen Einkaufserlebnis“ hin.

Hat es in den Wiesbadener Hauptbahnhof geschafft:
der faire Supermarktzug auf Fahrt durch Hessen.
Das Grün knallt raus:
Hinweise vor dem Bahnhofseingang
Hinweise per A-Aufsteller
in der Bahnhofshalle
Volle Information am leeren Bahnsteig:
Großplakat für den Supermarktzug

Nun ist dieser Blogbeitrag nicht als Report zur – durchaus beachtlichen – Leistung gedacht, Supermarktregale in Eisenbahnwaggons einzupassen. Zum Projekt selbst wurde sowohl in der einschlägigen Fachpresse als auch in Publikumsmedien ausführlich berichtet und eine eigene Website dazu gibt es auch.

Nein, uns geht es zuvorderst um die Aspekte der Vermarktung im Rahmen der Schienen-Show. Wo verorten wir diese öffentlichkeitswirksame Maßnahme im Universum der Promotion-Mechaniken? Welche Ziele verfolgen die veranstaltenden Partner Rewe, Fairtrade und DB mit ihrer Marketingkooperation? Und wie ordnen wir zusätzliche Aktivierungsimpulse ein, die im Rahmen der Bahnhof-Präsenz angeboten werden?

Die Frage, die sich beim Gang durch die Supermarktwaggons zunächst fast von selbst stellt: Wozu der immense Aufwand? Warum die Mühe, 180 Azubis damit zu beschäftigen, Regale, Kühlmöbel und tausende von Artikeln in räumlich beengte Zugabteile einzuräumen? Gehört Rewe doch wahrlich nicht zu den Händlermarken, die in Hessen Bekanntheit aufbauen und deshalb proaktiv den Weg zum Shopper hin suchen müssten. Und rein praktisch gedacht hat der schlauchförmige Markt im Zug für Kunden den Nachteil, dass die Laufrichtung vom Eingang bis zur Kasse vorgegeben und eine Umkehr kaum möglich ist. Sollte man also tatsächlich seinen Wochenendeinkauf im Zug machen und  Artikel im Vorübergehen vergessen haben, heißt es: zurück auf Start! Folgerichtig darf – auch unbeachtet der eingangs geschilderten Sondersituation am Hauptbahnhof Wiesbaden – bezweifelt werden, dass Abverkaufsaspekte eine wesentliche Motivation für die Veranstalter der Initiative waren. Für vorsichtige oder gar ängstliche Kunden im Covid-Kontext ist der Bummel entlang der schlauchförmigen Shoppingtour ohnehin ein „No Go“ – sie werden den Supermarkt-Zug vermutlich erst gar nicht betreten oder direkt nach dem Eingang kehrtmachen.

Willkommens-Komitee:
Azubis an Bistrotischen
am Eingang hinter der Lok
Direkt nach Betreten des Zugs:
Komplette Regalwand mit Fairtrade-Artikeln
Regalsystem in den Waggons:
Kategorie-Überschrift, visuelle Fokuspunkte,
darunter die Ware; hier: Frische-Convenience
Regale ohne Lücken:
Vollsortiment im Feinkost-Abteil
Schmale Fläche:
Kühlmöbel beengen
die Laufwege zusätzlich
Sortiment für Hessen:
Fan-Shop-in-Shop für
Eintracht-Freunde
Am Checkout:
Impulsware für
unterwegs und zuhause
Nach dem Ausgang ist vor dem Eingang:
das Bord-Bistro zum Verweilen (für 2G’ler)

In der Tat sollte das Invest ausschließlich unter den Aspekten des Brand Building betrachtet werden. Ganz eindeutig: Die Verfestigung der Attribute „nachhaltig, sozial & regional“ in der öffentlichen Wahrnehmung dürfte das oberste Ziel sowohl für Rewe als auch die Deutsche Bahn gewesen sein. Fairtrade als „Gütesiegel“ für einwandfreie Konditionen bei der Erzeugung verstärkt diese Botschaft glaubwürdig. Folgerichtig ist auch die einzige erkennbare POS-Marketing-Aktion im Rahmen der Tour eine Zugabe-/Gewinnspielmechanik, die per fair gehandelter Schokolade im Nachhaltigkeitszug transportiert wird:

„Gute Schokolade“ zu einsfuffzig –
und Zug-Hinweis auf dem Kassenbon.
Promo-Packung rechts im Bild, Flyer in der Mitte
Flyer und Packungsrückseite
mit Promotion-Erläuterung
Informationen auf der Innenseite
des Packungs-Schubers:
Couponing & Gewinnspiel
plus Tourdaten

Ein für Rewe weiterer wesentlicher Aspekt für den Launch der Initiative dürfte die Strahlkraft des Azubi-Engagements in Richtung Nachwuchs- und Fachkräfteakquisition gewesen sein. Die Botschaft lautet: Rewe traut seinen Nachwuchskräften außerordentliches zu und lässt sie machen! Damit setzt der Supermarktbetreiber im Rahmen seiner publicityträchtigen Azubi-Projekte ein weiteres Highlight – erinnert sei an die Installation eines Markts im Hessischen Staatstheater in Wiesbaden vor drei Jahren.

Ordnen wir die Aktion von Rewe, Bahn und Fairtrade also als Kampagne ein, die zwar den POS zu den Shoppern bringt, aber nicht primär ein Point-of-Sale sein möchte. Vielmehr transportiert der Sonderzug eine PR-Story von Nachhaltigkeit, Regionalität und sozialem Engagement. Das gelingt gänzlich und eindrucksvoll. Ob sich der Aufwand lohnt, kann im nachhinein an den relevanten Kennziffern Medienäquivalent und Reichweite der Berichterstattung, Kundenfrequenz im Zug sowie Einlöse- und Teilnahmequote am Coupon-Gewinnspiel gemessen werden. Am Abverkauf sicher nicht.