Die Grenzen der Analog-Kreativität bei der Markenentwicklung
„Glück muss man haben“, dachten sich in den vergangenen drei Jahren viele Shopper und kauften die 2017 eingeführte gleichnamige Konfitüre der Firma Göbber. Machten die Marke damit zu einem der Top-Artikel im Regal mit süßen Fruchtaufstrichen / Honig. Dieser Marketing-Coup des Mittelständlers aus Eystrup war ein Weckruf für die – über Jahrzehnte nicht gerade innovationsdynamische – Kategorie und rüttelte die Wettbewerber wach. Traf mit dem Mix aus außergewöhnlichem Markennamen, individuellem Glas und eigenständiger Kommunikation den Nerv der Händler und der Kunden auf der Fläche. Und weckte damit bei einem der Konkurrenten Begehrlichkeiten, die in einer Me-too-Strategie umgesetzt wurden. Konkret sah das Ergebnis so aus:
Als ich die LieBee Produkte zum ersten Mal sah, vermutete ich eine Line-Extension der Marke „Glück“. Fand die wortspielerische Fortsetzung folgerichtig: Liebe(e) nach Glück, das passt – kommt demnächst dann wahrscheinlich ein Schoko-Aufstrich namens „GeNuss“, so dachte ich. War dann sehr überrascht, als ich erfuhr, dass es sich bei „LieBee“ um eine Marke der LieBee GmbH, neu eingetragen im Jahr 2019 beim Handelsregister Charlottenburg/Berlin handelt. Überrascht waren anscheinend auch die „Glück“-Schmiede aus Niedersachsen und entschieden, dass die Ähnlichkeit zu weit gehe. Klagten also auf Basis des Tatbestands der sogenannten Herkunftstäuschung auf Unterlassen, denn „die angesprochenen Verkehrskreise könnten annehmen, die „LieBee“-Honig-Gläser seien eine neue Serie oder eine Zweitmarke der im Markt bekannten „Glück“-Produktreihe.“ (Zitat Rechtsspruch). Das hanseatische Oberlandesgericht untersagte nun Ende April der LieBee GmbH, Honig „zu bewerben, zu verkaufen oder in Verkehr zu bringen, wenn dieser in Gläsern abgepackt ist, die der Produktreihe „Glück“ der Friedrich Göbber GmbH nachgebildet sind“ . Hier dazu mehr.
Interessant; bei meiner Recherche – knapp eine Woche nach dem o. g. Urteil des OLG – fand ich kaum noch Hinweise auf die Marke LieBee. Weder in den sozialen Medien, noch per Hinweis beim Mutter-Unternehmen, der Fürsten-Reform Gruppe, oder in Blogs. Auf der Website der LieBee GmbH erscheint folgender Text:
Zurzeit führen wir Arbeiten an unserem Webauftritt durch und sind in Kürze wieder für Euch da.
Bitte entschuldigt die Unannehmlichkeiten.
Viele Grüße Euer LieBee Team
Auf diese „in Kürze“ überarbeitete Website dürfen wir also gespannt sein und werden beobachten, ob die LieBee GmbH ihre Marke leicht überarbeitet, komplett verändert oder überhaupt nicht mehr in den Markt zurückbringt.
Einstweilen hat Göbber in der Fachpresse mit einer passenden Anzeige reagiert – wie der Volksmund sagt: wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung …
Die Markenstrategie der LieBee GmbH mündete also vorerst in einem Me-too-Desaster mit hohen Kosten und kommunikativem Schiffbruch. Fragen wir uns als Marketing-Praktiker also, was ist denn hier passiert? Wie konnte es bei all der Markttransparenz und den Möglichkeiten zur vorherigen Prüfung juristischer Grenzen dazu kommen, dass das Invest eines Marken-Launchs in den Sand gesetzt wurde? Zwei Vermutungen:
1. Grenzen bewusst überschreiten
2. An Benchmarks orientieren
Mit der Wahl des Markennamens in Verbindung mit den typischen Packungsmerkmalen und der Typografie auf den Gläsern und in der Kommunikation ist LieBee sehr nah an das „Glück“-Konzept herangerückt. Jeder Aspekt für sich alleine betrachtet wäre wahrscheinlich relativ unproblematisch gewesen. Sprich, ein „normales“ Honigglas mit der Aufschrift „LieBee“ in gradliniger Schrift z. B. hätte den Wettbewerber sicher weniger aufgeschreckt.
Denn: das Arbeiten mit Produktnamen, die Gefühlszustände beschreiben, ist ja nicht neu, war auch im Falle von „Glück“ keine Innovation, sondern nur neu für die Kategorie Fruchtaufstriche – man betrachte sich z. B. diese Meßmer-Tees …
Wir dürfen also davon ausgehen, dass die LieBee GmbH sich ganz bewusst in einen sehr dunkelgrauen juristischen Bereich begeben hat, um zu testen, wie stark man kopieren darf, ohne sanktioniert zu werden. Vielleicht hat sich – s. Punkt 2 oben – LieBee ja auch an der Strategie der Handelsmarken orientiert, Benchmark-Brands aus den jeweiligen Kategorien als Vorbild zu nutzen. Dort funktioniert das – produktpolitisch fein austariert – anscheinend ohne juristische Folgen, wenn wir uns ein Beispiel aus der heute relevanten Kategorie ansehen:
Fazit:
Bei der Überlegung, wie man die eigene Kategorie mit frischen Ideen beleben könnte, lohnt ein Blick über den Tellerrand. Sich von Impulsen anderer Kategorien und Brands inspirieren zu lassen ist sinnvoll. Man sollte jedoch vermeiden, in die Me Too-Falle zu tappen.