Der schöne Schein: Werbelügen ohne ku(h)rze Beine

Sie wissen es. Kennen es möglicherweise aus der eigenen Berufspraxis. Die Kommunikation zu Vermarktungszwecken befindet sich oft in einem Graubereich zwischen harten Fakten und schönem Schein. Sie changiert fast immer zwischen blassem Aschgrau und kräftigem Anthrazit. Je mehr die Kontraste verschwimmen, desto schwieriger wird es, die Grenze zwischen faktenbasierter Information und Märchengeschichte zu erkennen. Wesentliche Aspekte bei der Einordnung von Werbebotschaften sind zudem Kontext und Tonalität. So ist es z. B. höchst strittig, ob ein bayrisches Bier als „bekömmlich“ ausgelobt werden darf (es darf nicht) wohingegen jedem Konsumenten klar sein dürfte, dass der Genuss einer Dose Bullenbrause nicht zum Fliegen befähigt, auch wenn Red Bull behauptet, Flügel zu verleihen. Zumindest scheint es diesseits des Atlantiks darüber keine Zweifel zu geben, anders als in den USA.
Die Konsumenten spüren, dass sich die Marke duplo mit der Aussage „Die wahrscheinlich längste Praline der Welt“ humorvoll in einen neuen Kontext stellte und zwar mit einem Augenzwinkern. Behauptet jedoch eine Batteriemarke die längste Betriebsdauer im Markt zu bieten, sollte sie dieses Versprechen auch einhalten können.

Der Grat zwischen Erheiterung der Kunden ob augenscheinlicher Übertreibung und Verbraucher(ent)täuschung durch falsche Versprechungen ist schmal. Vertrauen ist mit Glaubwürdigkeit eng verbunden und diese Attribute gehören zu den Kernwerten einer starken Marke. Denken wir. Haben wir so gelernt und es erscheint plausibel. Dass es in der Praxis anders laufen kann, erfahren wir derzeit aus der gut informierten Fachpresse.

Unter der Überschrift „Nur ein Wermutstropfen für Hochland“ lesen wir in der LZ vor zwei Wochen, dass die Käserei aus dem Allgäu im vergangenen Jahr erneut mehr Absatz und Umsatz eingefahren hat. Das Unternehmen hat also viel richtig gemacht im ersten Jahr der Corona-Pandemie, seine Marken sind um 12% gewachsen – Kompliment! Zudem verstehen es die Heimenkichner Käsefabrikanten meisterhaft, die eingangs skizzierten Grenzen der Werbekommunikation auszuloten und für die Konsumenten eine Scheinwelt entstehen zu lassen. Schauen wir uns an, wie sich Hochland in der Werbung darstellt …

… und wie der Firmensitz in Heimenkirch tatsächlich aussieht:

Eine Marke der Hochland SE ist „Grünländer“, aktueller Preisträger des „Goldenen Windbeutels“ für die dreisteste Werbelüge; sowohl Fach- als auch Publikumsmedien berichteten 2020 ausführlich darüber:

Strittig ist also der Begriff „Freilaufkühe“ – insbesondere in Verbindung mit dem insgesamt „grünen“ Erscheinungsbild der Marke. Auch hier der Vergleich zwischen der Welt, die sich im Geiste eröffnet, lesen wir von freilaufenden Rindern …

Freilaufkühe auf der Alm

… und der Realität

Freilaufkühe im Stall

Vor diesem Hintergrund ist es beeindruckend, dass weder goldener Windbeutel, nebst umfangreicher Berichterstattung dazu oder zigtausende kritische Leserkommentare der positiven Markenentwicklung von Grünländer Käse einen Abbruch tun konnten. Aus dem Presseartikel nehmen wir mit, dass sich diese Brand in den vergangenen 12 Monaten „besser entwickelt hat, als die Konkurrenz“, Zitat Thomas Brunner, Vorstand für Marketing und Vertrieb bei Hochland.

Damit wir uns nicht falsch verstehen, die Vorgehensweise der Hochland-Marketingriege ist durchaus legitim. Sie haben mit Grünländer eine starke Marke gebaut und der Begriff „Freilaufkühe“ wird zudem auf der Packung erläutert. Jeder mündige Verbraucher kann sich mittlerweile mit einigen wenigen Klicks ein komplettes Bild über Herkunft, Herstellungsprozess und Zutaten seiner Lebensmittel machen. Sollte also nicht allzu enttäuscht sein, wenn sich ein Teil der wunderschönen Werbewelt als Potemkinsches Dorf entpuppt.

Fazit:
Die Tatsache, dass die Grünländer-Marktstellung nicht unter dem Vertrauensbruch der anscheinend missverständlichen Werbeaussagen leidet, zeugt von einem starken Markenkern. Dieser Nukleus ist so stabil, dass er negative Presse und (kleinere) Shitstorms im Internet aushalten und sich erfolgreich im Wettbewerb behaupten kann. Die Brand diente den Shoppern im Pandemiejahr also unverändert als vertrauenswürdiger Markenanker am POS.
Wir lernen, eine starke Marke hält viel aus. Sie kann erfolgreich auch Rückschläge in Form öffentlicher Kritik ertragen und bildet das Fundament für eine erfolgreiche Unternehmensführung. In Corona-Zeiten gilt ganz besonders: Investieren Sie in den Aufbau und die Pflege starker Marken!