Bärig, natürlich und reich an Text – die Anzeigen der Woche

Die literarische Wochenend-Reise quer durch die Landschaft der Fachzeitungen, B2B-Magazine und Branchenblätter bescherte mir spannende Einblicke in aktuelle Themenschwerpunkte und Entwicklungen aus Industrie, Handel und Dienstleistung. Präsentierte mir zudem erneut eine Vielfalt an Fachanzeigen mit einigen bemerkenswerten Trends.

Spaßiger Bär im Konjunktiv II

Die Wortwitz-Zentrale derzeitiger B2B-Kommunikation befindet sich eindeutig in Bonn, herauszulesen aus den groß- und kleinflächig geschalteten Annoncen von Haribo in Richtung seiner Handelspartner. „WO BÄREN WIR OHNE SIE?“ fragt der Zuckerwaren-Gigant aus NRW seine Kunden zum 100-Jährigen, die Antwort allerdings fehlt in den gut gestalteten Inseraten. Als Abbinder gibt es ein Dankeschön an die Retailer, die sich nun selbst darüber Gedanken machen können, wo der Goldbärlieferant ohne sie bäre, ähem, wäre.

Tja, wo bären wir nur?
Spaßiger Denksport mit Haribo.
Quelle: LZ und weitere Titel

Action, wenn die Flut einsetzt

An Triple X – einen Actionkracher mit Vin Diesel, erinnert der Anzeigentext für die Hustenbonbons von Wick „Triple-Action“, der die Handelspartner plakativ über „TvAction ab Januar“ informiert. Die Verbindung zwischen Text „Ab Januar flutet Wick TripleAction den Werbeblock“ und Bild schafft eine vom sintflutartigen Regen durchnässte Protagonistin deren Augen-Make-up hinweggeflutet wurde.

Wenn das Produkt schon wie ein Blockbuster klingt:
Wick in Action
Quelle: LZ, 04.12.2020

Eins mit der Natur – zweifach!

Trinkwasser, ein gänzlich natürliches Produkt, kommt aus dem Wasserhahn oder wird aus dem Brunnen unseres Vertrauens per Flaschenabfüllung in den Wertstoffkreislauf gebracht. Die Anbieter von Markenwasser sind – wie grundsätzlich alle Hersteller von generischer Ware – auf eine saubere emotionale Positionierung ihrer Brands angewiesen, um sich von den Mitbewerbern zu differenzieren. Darauf, dass dies zumindest zwei Protagonisten dieser spannenden Kategorie derzeit nicht einwandfrei gelingt, weist uns die Annonce von Vilsa Brunnen mit Sitz in Bruchhausen-Vilsen in Niedersachsen hin. „Willkommen im Wald“ hat der Anzeigenpoet der Niedersachsen das Motiv betitelt, in dem ein charmant verpackter Plagiatsvorwurf Richtung Vulkaneifel verpackt ist. Konkret bezieht sich Vilsa auf einen Werbespot der „Freunde aus Gerolstein“, die ähnliche Bilder verwenden, um den Natürlichkeitsaspekt der Wasserherkunft glaubhaft und emotional zu stützen. In der Tat ähneln sich Motive und Gesamtanmutungen der Commercials und die jeweiligen Packshots am Ender der stimmungsvollen filmischen Reisen durch die heimische Natur könnte man problemlos 1:1 tauschen. Überzeugen können sich die Handelspartner davon selbst mittels Scannen der von Vilsa in der Anzeige aufgedruckten QR-Codes, die zu den beiden Werbefilmen verlinkt sind. Allerdings hat der Link zu Vilsa bei mir nicht funktioniert (der zu Gerolsteiner schon). Es bleibt für die engagierten Mineralwasserproduzenten aus NRW zu hoffen, dass dieser Wettbewerbsvergleich in Sachen Wald nicht zum Holzweg wird.

Me-too-Vorwurf mal anders:
die ironische Anzeige von Vilsa in Richtung Gerolstein.
Quelle: LZ, 04.12.2020
Szene aus dem Film von Vilsa:
Die Hand am Moos …
… streichelt auch im Eifelwald die Natur.
Motiv aus der Gerolsteiner-Aufforstungs-Kampagne.
Spür die Natur:
Schluss-Sequenz des Vilsa-Films
Kraft aus der Natur:
Abbinder im Gerolsteiner-Spot

Textaufgabe –Anzeige sucht Leser

Etwas mehr als 200 neue Bücher erscheinen hierzulande dieses Jahr – pro Tag, wie die Statistik des Börsenvereins des deutschen Buchhandels zeigt. Insgesamt erfreuen knapp 80.000 frische Printerzeugnisse zwischen Buchdeckeln die Leser und dies obwohl der Käuferanteil schrumpft.

Für einige Inserenten ist zu hoffen, dass ihre B2B-Zielgruppe trotz hektischem Vorweihnachtsgeschäft nicht zu den Lesemuffeln gehört. Bekommen fließtextaffine Händler doch diese Woche reichlich Lesestoff per Anzeige verabreicht. Aber sehen Sie selbst:

Bio-Lachs aus Irland:
Reich an Omega-3-Fettsäuren und Werbetext.
Quelle: LZ, 04.12.2020
Irland setzt Maßstäbe in Sachen „Grass Fed“ und „Copy Length“.
Quelle: Markant-Magazin 12-2020
4U@work hilft Händlern und bietet reichhaltige Lektüre.
Quelle: Markant-Magazin 12-2020
Dank- und Lesezettel für die Handelsmanager von Petri Vertrieb.
Quelle: LZ, 04.12.2020

Mit den üblichen Leitlinien für professionelle Handelskommunikation alleine kommen wir bei diesen – eher redaktionell gestalteten – Inseraten nicht weiter, hier ist eine starke innere Beteiligung der Adressaten erforderlich, um die Betrachtungsbarriere (viel Text) zu überwinden. Allerdings gilt dabei besonders: die Gestalter sollten mit einer griffigen Überschrift und/oder einem disruptiven Bild dafür sorgen, dass die Anzeigenbetrachter zu Lesern werden. Bewerten wir die Motive unter diesen Aspekten, erkennen wir, dass es bei allen fünf Annoncen noch reichlich Optimierungspotenzial gibt. Weder die Headlines noch die Bilder sorgen für Neugier oder Spannung; der Kassenzettel vom POS-Dienstleister Petri mit dem Wort „DANKESCHÖN“ schafft am ehesten die Verbindung aus Inhalt/Botschaft und kreativer Darstellung.

Ein noch besseres Beispiel finden wir von Philips. Hier wird ein „Customer Need“ zu einem brandaktuellen Thema bereits in der Überschrift gut gegriffen und der Betrachter will mehr erfahren. Der Text ist übersichtlich in Blöcken angeordnet und bringt die Vorteile der UV-C Technologie für die potenziellen Kunden schnell auf den Punkt.

Packt Händler mit einem top-aktuellen Thema und verführt zum Lesen:
Anzeige von Philips u. a. im Markant-Magazin.

Kunterbunte Bio-Bilder-Botschaften vom Land

Zum Abschluss finden wir in der „Milch Marketing“ diese Woche noch ein sehr gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn Anzeigen mit zu viel Inhalt überfrachtet werden. Auf einer ¼-Seite versucht die Landkäserei Herzog folgende Botschaften zu verpacken:

  • Käse in Bio-Qualität
  • Alles aus einer Hand: Herstellen, Aufschneiden, Liefern (machen anscheinend nicht alle Käsereien selbst)
  • Nachhaltigkeit für Umwelt und Ressourcen
  • Der Bio-Käse ist in Scheiben oder als Portionsstück erhältlich
  • Es gibt eine neue Verpackung, eine Kartonschale mit Kunststoffschicht

All das wird zudem noch üppig bebildert mit

  • Einem mehrfarbigen „Alles-aus-einer-Hand“-Signet
  • Einer technischen Verpackungsabbildung
  • Zwei Packshots
  • Food-Deko
Viele Elemente auf kleinem Raum:
1/4-Anzeige von der Landkäserei Herzog.
Quelle: Milch-Marketing 12-2020

Frei nach dem Motto: „Wenn wir schon mal das Geld für eine Anzeige in die Hand nehmen, muss da auch alles rein, was wir mitzuteilen haben“. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Anzeige nicht funktioniert ist leider hoch, wissen die Betrachter doch nicht, was das Anliegen der Käserei Herzog ist. Es fehlen Kommunikationshierarchie und die EINE klare Botschaft in Richtung Handel.

Abschließend der obligatorische Verweis darauf, dass die Bewertung von zufällig ausgewählten Anzeigenmotiven alleine dem Ziel dient, Hinweise darauf zu geben, wie B2B-Kommunikation funktioniert – oder eben auch nicht. Basis für diese Einordnungen sind zahlreiche Werbewirkungs-Studien und die als Konsens erachteten, allgemein gültigen Regeln für effektive Gestaltung. Nur zu gut weiß ich als Praktiker von den Zwängen und (scheinbar) unabänderlichen Rahmenbedingungen bei der Entwicklung von Kommunikationserzeugnissen.