Die Lüge, liebe Leser, wird im Internet-Lexikon definiert als „eine Aussage, von der der Sender (Lügner) weiß oder vermutet, dass sie unwahr ist, und die mit der Absicht geäußert wird, dass der Empfänger sie glaubt“. Lügen begleiten unser Leben, ob wir es wollen oder nicht. Die Motivationsskala für eine Lüge erstreckt sich von höchst kriminell bis zu maximal empathisch und kann zum Schaden oder Schutz des Belogenen gereichen. Im Schnitt lügen Männer laut aktuellen Studien mehr als tausendmal pro Jahr, Frauen hingegen bringen es „nur“ auf gut 700 Lügen per anno. Die Abstufung zwischen dunklem böswilligen Betrug und reiner Wahrheit ist ebenfalls äußerst vielschichtig. Von der vorsätzlichen Täuschung über die Notlüge bis zum Verschweigen der Tatsachen findet sich eine Graubereich in ähnlich vielen Facetten wie am wolkenverhangenen Januarhimmel draußen vor unseren Fenstern. Beredt auf den Punkt gebracht hatte dies vor gut zwanzig Jahren der damalige hessische Ministerpräsident im Rahmen der Ermittlungen zur CDU-Spendenaffäre:
“Nun, ich habe unvollständig informiert gegenüber Journalisten. Da muss man sich groß rechtfertigen. Es war eine Riesendummheit, dabei bleibe ich“
Roland Koch im Interview mit dem Deutschlandfunk Feb. 2000
Also nicht gelogen, sondern unvollständig informiert. In diese Kategorie könnte man auch die Werbeaussagen der Firma Hochland für ihren Grünländer Käse einordnen. Behauptet die in natürlichem Weidegrün gestaltete Verpackung doch, das Molkereierzeugnis habe eine „Grüne Seele“ und werde aus der „Milch von Freilaufkühen“ hergestellt. Per Kleingedruckten auf der Packungsrückseite findet sich ein Hinweis, dass die Nutztiere nicht auf der grünen Weide, sondern im Stall frei umherlaufen. Die Verbraucherschutz-Organisation „foodwatch“ stufte dieses Vorgehen als Werbelüge ein und setzte den Artikel auf die Shortlist für die Wahl zum „Goldenen Windbeutel“, die der Grünländer Käse im September 2020 auch prompt gewann (vgl. Bericht in diesem Blog dazu).
Nun hat Hochland eine Unterlassungserklärung abgegeben, auf den „Grünländer“-Packungen künftig weder die „Grüne Seele“ noch „Freilaufkühe“ auszuloben.
Terminiert ist die Umstellung für spätestens 2022, der Übergang soll fließend erfolgen. Anlass dafür war allerdings nicht die Wahl zum Goldenen Windbeutel, sondern (vor allem) eine Abmahnung des Verbands „Sozialer Wettbewerb e.V.“, wie der aktuellen Tagespresse zu entnehmen war:
„Freilaufkühe ist ein reiner Fantasiebegriff“, sagt foodwatch-Sprecher Manuel Wiemann. „Hochland gaukelt den Kunden ein Weideidyll vor. Dabei stehen die Kühe im Stall“.
Die Unterlassungserklärung von Hochland ist auch eine Ohrfeige für das Landratsamt des Landkreises Lindau (Firmensitz der Käserei) und das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Diese beiden Behörden hatte foodwatch dazu aufgefordert, Hochland die Werbeaussagen auf der Packung zu untersagen. Landratsamt und LGL weigerten sich mit der Begründung, die Angaben seien nicht irreführend und verwiesen – wie Hochland – auf den Rückseitentext, dazu foodwatch:
„Die zuständigen Lebensmittelbehörden decken irreführende Werbung sogar dann, wenn das Unternehmen selbst nicht daran glaubt, dass die eigenen Aussagen legal sind – das ist haarsträubend.“
Manuel Wiemann Wahlleiter beim Goldenen Windbeutel 2020
Was können wir als Marketing-Profis aus diesem Case lernen? Ein wesentlicher Aspekt ist die Erkenntnis, dass nur ein sehr schmaler Grad zwischen legitimer werblicher Übertreibung und empfundener Kundentäuschung führt. Hier braucht es ein gutes Gespür der Verantwortlichen, wie weit die Verbraucher der Illusion einer kreativen Vermarktungs-Story bereitwillig folgen und ab wann Reaktanzen auf ein offensichtliches Lügenmärchen einsetzen. Mag man die Idee eines Süßwarenanbieters, seinen Schokoriegel als „längste Praline der Welt“ zu positionieren noch als charmante Übertreibung einstufen, könnte der als Fitness-Food beworbene Erdnussbutter-Snack mit reichlich Zucker und Fett im Regal mit Protein-Produkten ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen. Konsumentenbefragungen in Kombination mit einer Portion gesundem Menschenverstand und einem guten „Bauchgefühl“ helfen dabei, ethisch einwandfrei und dennoch emotional aktivierend zu kommunizieren. Sollte es soweit kommen, dass es von Seiten Ihrer Kunden zu kritischem Feedback kommt, sollten Sie proaktiv und schnell darauf reagieren und nicht unbedingt auf ihren rechtlich einwandfreien Formulierungen beharren, auch das nehmen wir aus dem Hochland-Beispiel mit.