Juli 2021: „Innenstadt-Gipfel“ in Wiesbaden. Anlässlich dieser Veranstaltung berichtete dieser Block auch über das neue Konzept von Galeria (Kaufhof, Karstadt). Nun lesen wir von einer weiteren Finanzspritze, die der altehrwürdige, jedoch finanziell arg angeschlagene Kauf- und Warenhauskonzern beim Bundeswirtschaftsministerium beantragt hat. In der Presse sind von 300 Millionen Euro die Rede. Ob dieser Hilferuf angebracht und aussichtsreich ist, wollen und können wir in unserem Fachblog nicht erörtern. Es sei an dieser Stelle lediglich der Zweifel geäußert, dass die Unterstützung eines einzelnen Unternehmens derzeit auf breite Zustimmung stoßen wird. Denn: Die Rahmenbedingungen während der ersten Hilfsaktionen des Bundes für Galeria (jeweils Anfang 2021 und 2022) unterschieden sich erheblich. Die Corona bedingten Lockdowns schadeten nicht nur Gastronomen und Veranstaltern, auch der innerstädtische Einzelhandel war stark betroffen. Derzeit hingegen beeinträchtigen flächendeckende Herausforderungen (Lieferengpässe, Energiekosten, Inflation, sinkende Kaufkraft und Konsumneigung) nahezu alle Branchen. Sowohl in der Bevölkerung als auch bei Politik und Unternehmern dürfte das Verständnis für zusätzliche steuerfinanzierte Unterstützungsleistungen in dreistelliger Millionenhöhe an Galeria sehr überschaubar sein.
Kommen wir aber zum Kern des heutigen Beitrags. Widmen wir uns der Frage, wie tragfähig das Vermarktungskonzept von Galeria ist. Blicken also auf die Agenda von Thomas Bollmeyer (letztes Jahr noch regionaler Verkaufsdirektor von Galeria), um die Flächenattraktivität der Kauf- und Warenhaus-Kette zu erhöhen:
- Bereitstellen der üppigen Verkaufsfläche als Bühne für Marken
- Nutzung der Häuser als Event-Location
- Präsentation neuer Trends (Fashion, Lifestyle…)
- Etablierung der Rolle als innenstädtischer „Service-Hub“ mit u. a. städtischen Dienstleistungen, Paketstationen, Schuh-/Schlüsseldienst, Ticketservice etc.
- Neue bzw. erweiterte Ressourcen für Mobilität (Car-Sharing, Bike-Parkhäuser und -Reparaturstationen, Ladestationen usw.)
- Neues, helleres, freundlicheres und angenehmeres Einkaufsambiente
Zur Erinnerung, so sah das im Konzeptpapier aus:
Hier eine Impression vom heutigen Storecheck im Wiesbadener Karstadt-Haus:
Was finden wir dort? Breite Gänge, ein gut sortiertes, professionell und optisch sehr ansprechend präsentiertes Sortiment (Beispiel Kosmetikabteilung). Ausreichend Personal auf der Fläche mit (selbstgetestet!) überzeugender Beratungskompetenz. Klasse!
Fragen wir uns also: Hat Galeria tatsächlich ein Problem mit der Vermarktung auf der Fläche? Sollte der Optimierungshebel vorrangig beim POS-Marketing angesetzt werden?
Scheint erstmal nicht so, zumindest nicht im gut frequentierten und zentral gelegenen Haus der schönen Landeshauptstadt. Jedoch: Wir leben in einer Zeit immer stärkerer Spezialisierung. Stichwort: Nischen-Märkte! Da wird es dann für ein „Bauchladen-Konzept“ wie das von Galeria eng. Liegen rings ums Kauf- und Warenhaus doch Anbieter mit deutlich größerem Branchen-Fokus und mit breiterem, tieferem Portfolio wie z. B. Douglas (Kosmetik), H&M, P&C (Textil), Christ (Schmuck), WMF (Haushaltswaren), Schöffel und Globetrotter (Outdoor), Mey (Wäsche), Hugendubel (Bücher), Saturn (Elektronik) usw. Zudem: Die Rolle als innenstädtischer Dreh- und Angelpunkt für die im o. g. Konzept genannten Services (Car-Sharing, Ticketservice, Paketstation etc.) und Veranstaltungen müsste sich zunächst glaubwürdig etablieren. Davon ist zumindest das Wiesbadener Flaggschiff ein gutes Stück entfernt. Das ist schade, würde doch ein rundum relevantes Event- und Serviceangebot im Herzen der City für wichtige Impulse zur Belebung der Innenstadt sorgen. Im Moment scheint das Angebot von Galeria zwar grundsätzlich geeignet zu sein, um insbesondere die (Lauf-)Kundschaft in der Innenstadt zu bedienen. Es ist jedoch in seiner Gesamtheit weder günstiger, noch anders oder besser als stationäre Wettbewerber in der Nachbarschaft oder im Internet.
Und: Die konzeptionelle Optimierung ist ein budgetärer Kraftakt. Ein finanziell „auf Kante genähtes“ Unternehmenskonstrukt wie Galeria könnte sich daran verheben. Drückt den Konzern doch der gewaltige Personalkostenblock, obwohl Angestellte zur Zeit auf Teile ihrer Bezüge sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichten. Nun hat Galeria den noch laufenden Sanierungstarifvertrag einseitig gekündigt. Verdi pocht allerdings auf Erfüllung des Kontrakts und damit auch auf Gehaltsanpassungen, die seinerzeit vereinbart wurden. Sollte Galeria das Gehalt seiner rund 17.000 Beschäftigten nur um z. B. durchschnittlich 100,- / Monat anheben (müssen), bedeutete das eine Steigerung nach Vollkosten von ca. 25 Millionen Euro pro Jahr. Solche Summen fehlen dann als Invest für die dringend erforderliche strategische Anpassung des Marketing-Konzepts. Eine wirtschaftlich schwierige Gemengelage.
Fazit:
Ohne weitere Finanzspritze sinken die Chancen auf ein längerfristiges Überleben des letzten großen Kauf- und Warenhausbetreibers in Deutschland. Aufgrund der finanziellen (Alt-)Lasten dürfte es Galeria jedoch schwer fallen, den konzeptionellen Turnaround aus eigener Kraft zu schaffen. Zu wenig wettbewerbsüberlegen ist das Vermarktungsmodell aus dem vergangenen Jahrtausend im aktuellen Marktumfeld. Zweifelhaft ist, ob sich das Wirtschaftsministerium von weiteren Unterstützungsleistungen aus Steuergeldern für den KWH-Dino überzeugen lässt. Rosige Aussichten sind das weder für Galeria noch für die deutschen Innenstädte.