Grüne Typen und Lesenswertes – die Anzeigen der Woche

Die Fachpresse der vergangenen beiden Wochen lieferte für diesen Blog wieder einmal einige gute Beispiele für hervorragende, originelle und kreative, aber auch optimierungsfähige Kommunikation. Wie üblich lassen wir uns beim Bewerten von B2B-Motiven ausschließlich von den Leitlinien für professionelle Handelskommunikation führen. Denn persönliches Gefallen ist Geschmacksache und radikal subjektiv. Fast immer jedoch schneiden die Anzeigen bei Copytests am besten ab, die auch den o. g. Guidelines am vollkommensten entsprechen. Der umgekehrte Fall ist die berühmte Ausnahme, mit der wir diese Regel bestätigen können. 

Zu einem interessanten Typo-Trend führen uns diese Woche Annoncen von Biofruit Gewürze, Herta Plus-Wurst, iglo Green Cuisine, Perfect Fit von Mars, Wagners Vegane Piccolinis und Volvic-Wasser. Fragen wir uns … was haben die gemeinsam?

Hier eine visuelle Hilfestellung:

Unabhängig voneinander entschieden sich die jeweiligen Grafiker dafür, in ihren Anzeigen eine „unsaubere“ Schrifttype zu verwenden, die unmittelbar mit dem Attribut „Natürlichkeit“ assoziiert wird. In den fertigen Anzeigen sieht das dann so aus:

Wir bleiben dran und beobachten weiter, ob sich diese Entwicklung zur Verwendung dieser „charakteristischen Typo“ fort-, durch- und festsetzt.

Mit einer „Lesenswerten Anzeige“ wartet iglo in der Lebensmittel Zeitung vom 14. Mai auf. Die Optik des originellen Motivs orientiert sich dabei 1:1 am typischen Look des Trägermediums. Farbgebung, Layout und Schriftart entsprechen auf den ersten Blick nahezu gänzlich einer LZ-Titelseite. Feine Unterschiede in der Typografie (betrachten Sie z. B. das „g“ in der Überschrift) erkennen Betrachter erst beim zweiten Hinschauen. Hier das konsequent umgesetzte redaktionelle Motiv im side-by-side-Vergleich:

Der fließende Übergang zwischen redaktionellem Umfeld und Werbung ist gewollt, ja, er wird mit solchen Motiven geradezu beabsichtigt. Der Blick der Leser sollen hürdenfrei und ohne Differenzierungsbedenken zwischen „seriöser Berichterstattung“ und „Reklame“ ins Inserat gezogen werden. Die Art und Weise, wie iglo das in diesem speziellen Fall versucht, wird sicher für einige Schmunzler und wissendes Lächeln bei den Händlern sorgen. Einerseits. Auf der anderen Seite: Redaktionell aufbereitete Inhalte arbeiten nicht wie eine glasklar erkennbare Werbebotschaft. Die sendet – wie wir aus unseren Leitlinien für Kommunikation wissen – u. a. eine (einzige) Kernbotschaft in verständlicher Sprache und prägnantem Bild. Hier verbirgt sich eine Gefahr für dieses Motiv. Allen Zielpersonen, die das Trägermedium zügig durchblättern und nur bei sofort als relevant erkennbaren Inhalten innehalten, könnte die Botschaft vom Hamburger Fischstäbchen-Anbieter durch die Lappen gehen.

Genau den entgegengesetzten Ansatz wählten die Anzeigenmacher von Coke für die Bewerbung des Energiegetränks „Reign“. Vor dem komplett schwarzen Hintergrund knallen Produkte und Botschaften förmlich aus dem textlastigen Zeitungsumfeld heraus:

Ob es der Marke mit dem dreizackigen Helmlogo damit gelingen wird, LEH-Terrain im Kampf um die Energydrink-Herrschaft gut zu machen, bleibt offen. Sehr wahrscheinlich ist allerdings, dass dieses Motiv hohe Erinnerungswerte erreichen dürfte.

Wie die Entscheider im Handel mit einem spielerischen Element dazu gebracht werden können, sich mit neuen Produkten zu beschäftigen, zeigt uns der TK-Spezialist Wagner im bzw. auf dem aktuellen fng-Magazin (zum Anschauen einfach aufs Bild klicken):

„Wackelbild“ für Piccolinis von Wagner
auf der Titelseite vom aktuellen fng-Magazin.

Natürlich ist der Einsatz von Lentikularfolie als Anzeigen-tip-on-card nicht die günstigste aller Inserat-Varianten. Als überraschendes Impuls-Element unterstreicht diese kleine Spielerei jedoch subtil die Wichtigkeit der beworbenen Neuprodukte.

Nur fünf menschliche Wesen kennen das Rezept, so heißt es auf der Jubiläumspackung vom Kräuterlikör Underberg mit der wohltuenden Wirkung für den Magen. Hoffentlich erheblich mehr Menschen kennen das Prinzip für wirksame Anzeigen. Diese Kenner wissen, dass Werbung dann effektiv ist, wenn sie sich – wie im Beispiel der Reign-Anzeige oben – auf EINE EINZIGE Botschaft fokussiert. Sie beherzigen die Erkenntnis, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Messages die (meist eiligen) Betrachter überfordern. Sie kennen freilich auch die Herausforderung, aus einem umfangreichen Briefing die für die Rezipienten relevante Essenz zu filtrieren. Dieser Vorgang ist anstrengend. Ist aufwändiger als einfach alles hinzuschreiben, was an Informationen scheinbar wichtig ist. Eine aufschlussreiche Abhandlung dazu finden Sie hier. Die Anzeigenmacher von Underberg haben diese Erkenntnisse nicht berücksichtigt. Stolze 8 unterschiedliche Botschaften zählen wir insgesamt:

  • 175 Jahre Jubiläum an mehreren Stellen in Text und Signet
  • Hinweis auf die Underberg-Verwendungsanlässe
  • Information zum Bekanntheitsgrad
  • Bewerbung des neuen Verpackungsdesigns
  • Marktforschungsergebnisse zu Kaufwahrscheinlichkeiten
  • Plus drei Angaben in Piktogrammen zu Inhaltsstoffen

All diese verschiedenen Informationen könnte ein guter Gestalter eventuell einigermaßen unfallfrei in einem großflächigen Motiv unterbringen. Die Voraussetzungen dafür: Ein gut strukturiertes Layout, eine erkennbare Kommunikationshierarchie und dezente Hervorhebungen. Zu allem Überfluss finden wir jedoch im Underberg-Motiv ausschließlich VERSALIEN. DIE INFLATIONÄRE VERWENDUNG VON GROSSBUCHSTABEN IN ÄHNLICHER GRÖSSE, ABER UNTERSCHIEDLICHER TYPOGRAFIE, SORGT DAFÜR, DASS DIE LEKTÜRE DIESER ANNONCE NOCH ANSPRUCHSVOLLER UND ANSTRENGENDER WIRD. Das ist schade für die Anzeige, denn der florale Rahmen ist gekonnt gestaltet und visuell sehr reizvoll.

Abschließend der obligatorische Hinweis darauf, dass die Bewertung von zufällig ausgewählten Anzeigenmotiven alleine dem Ziel dient, Tipps dafür zu geben, wie B2B-Kommunikation funktioniert – oder eben auch nicht. Basis für diese Einordnungen sind zahlreiche Werbewirkungs-Studien und die als Konsens erachteten, allgemein gültigen Regeln für effektive Gestaltung. Nur zu gut weiß ich als Praktiker von den Zwängen und (scheinbar) unabänderlichen Rahmenbedingungen bei der Entwicklung von Kommunikationserzeugnissen.