Kurz vor dem Ende dieses von Beschränkungen und Unwägbarkeiten geprägten Jahres begeben wir uns noch einmal auf Streifzug. Drehen eine Runde durch den Blätterwald der Fachpresse und pflücken bemerkenswerte Erzeugnisse gestalterischen Schaffens der Anzeigenwerber für diesen Fach-Blog.
Den literarischen Einstieg in den heutigen Beitrag weiterführend betrachten wir das Inserat der Backwarenfabrik Lieken, geschaltet in der aktuellen Ausgabe der Lebensmittel Zeitung. Den vor kurzem entdeckten Trend der Inserat-Dichter, ihrer Prosa freien Lauf zu lassen, setzt dieses Motiv eindrucksvoll fort. Die Intention der Agrofert-Tochter besteht in der Vorstellung ihrer neuen Management-Riege und der Präsentation der „Strategie 2026“, überschrieben mit dem Statement „Wir sind auf Kurs“ und mit reichlich Fließtext versehen. Das ist zumindest außergewöhnlich, versuchen die Hersteller doch normalerweise, solche Botschaften zu Neuausrichtung und Umstrukturierung im redaktionellen Teil der relevanten Titel unterzubringen und die kostspieligen Anzeigen für die Bewerbung ihres Sortiments zu nutzen. Allerdings sahen wir eine ähnliche Anzeige vor einigen Wochen vom Deutschen Milchkontor, in der das Vertriebsteam des Milch-Marktführers Flagge und Gesicht zeigte.
Warum es nicht immer vorteilhaft ist, reichlich Produkt in seiner Anzeige zu präsentieren, lernen wir heute aus der Annonce für den Packungs-Relaunch von Herta in der aktuellen Ausgabe der Lebensmittel Praxis (Nr. 20/2020). Selbstbewusst titelt der Wurstwarenanbieter „Sieht echt gut aus“ und grundsätzlich haben die Gestalter auch bei diesem Motiv sehr viel richtig gemacht:
- Klare Gesamtstruktur
- Groß abgebildete Produkte
- Auffälliger NEU-Hinweis mit Terminangabe
- Hervorgehobene, abgesetzte Gestaltungselemente mit der Vorteilsargumentation für die Händler
- Farblich aus einem Guss und dennoch nicht eintönig
Und trotzdem besteht die Gefahr, dass sich die eiligen Leser nicht so intensiv mit dem Inhalt beschäftigen, wie es wünschenswert und möglich sein könnte. Warum ist das so? Der Knackpunkt sind die Produktpackungen im Zentrum der Anzeige. Jeder der vier Artikel ist mit einem unterschiedlichen Motiv gestaltet, das wiederum aus jeweils zahlreichen eigenständigen Einzelelementen besteht. Dadurch wirkt die Anzeige unruhig und letztlich doch überladen. Was kann man in solchen Fällen tun? In der Tat, es ist eine anspruchsvolle Gestaltungsaufgabe, vier völlig unterschiedliche Packungs-Designs plus weiterer Informationen in einem Inserat unterzubringen. Sicher hätte es geholfen, die Produkte in diesem Fall sehr viel kleiner abzubilden und nur das EINE verbindende Element – die neue Holzoptik – groß und prägnant hervorzuheben.
Wie einfach gute B2B Kommunikation funktionieren kann, demonstriert diese Woche Borco mit seinem Motiv unter dem Titel „Polens meistgekaufter Vodka“. Direkt nach dieser klaren Überschrift folgt die Aufforderung an die Leser, mit dem Produkt im kommenden Jahr zu wachsen. Daneben – eingebettet in eine zur Jahreszeit passende Winterlandschaft aus dem Flaschenetikett – eine große Produktabbildung. Abschließend noch zusätzliche Argumente für die Handelspartner zur Marktbedeutung, -entwicklung und POS-Unterstützung. POS-HOTS-Urteil: so funktioniert gute Handelskommunikation – Kompliment!
Die effektive Nutzung einer halben Anzeigenseite veranschaulichte bereits Ende November in der LZ die Denttabs GmbH mit ihrem gleichnamigen Produkt als Alternative zur Zahnpasta. Zugegeben, mit einer solch disruptiven Innovation ist es einfacher, auch auf kleinen Gestaltungsflächen große Aufmerksamkeit zu erzielen. Die Headline lautet passend zum Gesamtauftritt des Berliner Start-Ups entsprechend provokativ: „Zahnpasta war gestern“
Abschließend der obligatorische Hinweis darauf, dass die Bewertung von zufällig ausgewählten Anzeigenmotiven alleine dem Ziel dient, Tipps dafür zu geben, wie B2B-Kommunikation funktioniert – oder eben auch nicht. Basis für diese Einordnungen sind zahlreiche Werbewirkungs-Studien und die als Konsens erachteten, allgemein gültigen Regeln für effektive Gestaltung. Nur zu gut weiß ich als Praktiker von den Zwängen und (scheinbar) unabänderlichen Rahmenbedingungen bei der Entwicklung von Kommunikationserzeugnissen.